Retro-Impressionen: Ultima Underworld
Der Sommer war überstanden, die Maloche für diese schreckliche Zeitarbeitsfirma überstanden und das Konto um eine recht stattliche Summe angewachsen. Geld, welches als aufrechter Zocker, natürlich nicht in Lehrbücher oder gar eine gesunde, ausgewogene Ernährung gesteckt wurde (obst? gemüse? soll'n das sein?). Nein, natürlich nicht. Also bitte ...
Klein-Harzzach stand nun in einer der unzähligen Filialen einer der unzähligen Computer-Ketten, die Anfang der 90er noch die Innenstädte Deutschlands geprägt hatten und unterschrieb den Kaufvertrag für einen dieser ultraschnellen 486er. Die mit dem DX. Und 66 Mhz. Und 4 MB RAM. Und sogar mit einem Double-Speed-CD-Laufwerk! Yay!!!!
Zu seiner großen Überraschung war danach noch Geld über, so dass Klein-Harzzach entschloss, doch mal in diesen Softwareladen zu gehen. Zu Hause im Wohnheim gab es zwar Kopien im Überfluss, aber ... wenn schon mal Geld da ist, dann soll man es auch ausgeben ...
Gesagt, getan, gestöbert, geschaut. Plötzlich fiel der Blick auf eine recht verschämt ins hinterste Ende des Regals geklemmte Plastiktüte. Zu entziffern waren nur zwei Wörter ... Ultima Underworld! Ein flinker Griff und zu seinem Erstaunen entpuppte sich dieses verbeulte Etwas als die Ultima Underworld-Collection, die Teil Eins und Zwei auf einer CD vereinte. Kein Karton, nur die CD und die Handbücher. Schnell, bevor es irgendjemand bemerkte, stahl sich Klein-Harzzach an die Kasse und erstand für nur einen Bruchteil des regulären Kaufpreises (knapp 120 DM) zwei der schönsten und innovativsten Rollenspiele der 90er.
Ultima! Ultima war zum einen damals DIE angesagte RPG-Serie auf dem Markt. Klein-Harzzach kannte bereits Ultima V und VI, die Worlds of Adventure-Ableger "Martian Dreams" und "Savage Empire" und durfte kurz zuvor bei Ultima VII, angesichts der für damalige Verhältnisse gigantischen Welt, zum ersten Mal das Gefühl hilfloser Orientierungslosigkeit in einem Computerspiel erleben. Ultima war DAS DING schlechthin! Und jetzt das alles noch in 3D? So wie in Wolfenstein 3D? Geilo!
Ultima Underworld kann mit Fug und Recht als die Geburt des modernen Rollenspiels bezeichnet werden. Zum ersten Mal war man nicht mehr nur der Herumschubser bunter Bitmaps oder in Pseudo-3D-Kästchenschritten à la Dungeon Master gefangen. Man war mit einem Mal direkter, unmittelbarer Teil dieser echten, krummen, schiefen, glaubwürdig und real wirkenden Welt. Man konnte sich frei in dieser Welt bewegen, sich frei umschauen, sich ganz so verhalten, also ob man selbst dort wäre. Eben 3D! Heute etwas, über das man in Computerspielen kaum noch nachdenkt. Damals jedoch eine schier unglaubliche Sensation.
Auch gab es eine Physik-Engine! Geworfene Gegenstände flogen korrekt in parabolischen Bögen durch die Gegend, getroffene Gegner rutschten langsam schiefe Ebenen hinab und durch einen unvorsichtig ausgesprochenen Erdbeben-Zauber wurde man unverhofft in tiefe Gräben oder Lavalöcher geschleudert.
Mit zu der überzeugenden Präsentation trug zu großen Teilen das Levendesign bei. Jede Ebene des Stygian Abyss erfüllte einen klar erkennbaren Zweck, jede hatte ihren eigenen Charakter und man hatte darauf geachtet, dass alle Ebenen auch gestalterisch zusammenhingen. So zum Beispiel ein Fluss, der eine Ebene weiter oben in den Tiefen verschwand, kam ein oder zwei Ebenen weiter unter wieder über einen Wasserfall zum Vorschein.
Im Nachhinein am bemerkenswertesten, am innovativsten halte ich aber das Interface, die Spielsteuerung. Nicht nur, dass einem die bis dato übliche Kartenzeichnerei erspart wurde, in dem man eine wunderschöne Automap hatte. Gesteuert wurde das Spiel mit einer Kombination aus MouseLook und Bewegungstasten, welche die Eigenheiten moderner Ego-Shooter vorwegnimmt und sich nach jetzt knapp 15 Jahren so frisch und "normal" anfühlt wie bei einer Partie Half-Life 2. Gegenstände konnte einfach per Mausklick aufgenommen oder in der Welt manipuliert werden. Die Steuerung war so einfach und intuitiv, dass man nach nur kurzer Zeit axtschwingend durch die Gänge und Hallen lief, entweder bedauernswerte Goblins vor sich hertrieb oder selbst von aufgebrachten Ogern als nette Zwischenmahlzeit gejagt wurde.
Und noch weiter mit den gelungenen Spielelementen ...
Damals von mir kaum wahrgenommen, heute um so erstaunlicher wirkend: der Sound und die musikalische Untermalung. Schaltet man den Ton ab, verwandelt sich eine von Riesenspinnen heimgesuchte, aufgelassene Mine einfach nur in eine leblose Ansammlung von Holzbrücken, Rampen und krummen, winzigen Gängen. Mit jedoch ... da knistert was, hier knarzt das Holz des Brückensteges. Die Battle-Musik wird angestimmt, eine Spinne hat mich gesehen. Erwischt, eine Fanfare begleitet das Zusammensinken des arachnoiden Bösewichtes. Und weiter unten, tiefer im Dungeon, näher am Herzen des Vulkans, da blubbert die Lava, da stöhnen Geister und Liches in ihrer jahrhundertelangen Verdammnis. Großartig!
Da fällt es dann auch nicht weiter ins Gewicht, dass zusätzlich Storypräsentation und Questaufbau den hohen, für die Ultima-Serie typischen Standards folgen. Da gibt es neben den üblichen Besiege-Den und Hol-Mir-Das auch putzige Quests wie den Oger, der Dich nicht frisst, weil er lieber Appetit auf einen Rotwurm-Eintopf hätte, wie ihn seine Mutter immer zubereitet hat. Da gibt es die moralische Entscheidung (DAS Hauptmerkmal der "modernen" Ultima-Spiele), welchem Stamm von untereinander verfeindeten Goblinstämmen man helfen soll. Da gibt es in Ultima Underworld 2 Intrigen und aufzudeckende Verbrechen, die mit viel Dialog fast wie in einem Adventure zu bewältigen sind. Da gilt es in der Alien-Welt Talorus einen Eleomosynator zu "reparieren", in dem man die verquere Logik des Data Integrators entschlüsselt, um Hinweise auf die Bliy Skup Ductosnore-Kammer zu erhalten ...
Ultima Underworld gehört mit "Stygian Abyss" und dem zweiten Teil "Labyrinth of Worlds" zu Recht zu DEN Klassikern der Spielegeschichte. Eines der wenigen Beispiele, wo Innovation und Spielspass Hand in Hand gehen und ALLE Spielinhalte und -elemente zusammen mehr als nur die bloße Summe ergeben.