Sonntag, 11. März 2007

In Memoriam: working-title.de

Ich habe ja bereits zu Anfang geschrieben, welche Motivation, welcher Grund mich dazu bewogen hat mit "Senior Gamer" die Blogosphäre zu verschmutzen. Diese Motivation enstand natürlich nicht einfach so aus dem Nichts, aus heiterem Himmel.

Ich, als alter zynischer Sack, war schon lange mit dem Zustand der heimischen wie auch der internationalen Spielepresse höchst unzufrieden. Typische Spielemagazine wie PC Games oder Gamestar waren zu reinen "Stiftung Warentest"-Blätter mit fragwürdiger Objektivität und typischem Medien-Hype mutiert. Nein, falsch ... das waren sie schon immer, wie ich beim Durchblättern meines umfangreichen Heftarchives feststellen musste. Nur konnte ich es mittlerweile nicht mehr ertragen. Ok, es gibt EDGE, es gibt die GEE. Aber auch hier fühlte ich mich nicht so sonderlich aufgehoben. Dort wurde zwar ausführlich und kompetent über das Spiel als solches, über Spielkultur, über die Meta-Ebene (schwurbel, laber) des Spielens geschrieben. Aber es fehlte mir etwas. Die Texte waren zu ... zu glatt, zu sauber, zu "journalistisch".

Gut, es gab einen Haufen Online-Magazine, wie Gamesmania oder Gameswelt oder Gamespy oder Gamespot (einfallsreiche Namensgebung, nicht). Doch auch hier fand ich viel, viel Kommerzkacke vor. 08/15-Reviews. Hype, Hype, Hype. In den Kommentaren und Foren tummelten sich viele, viele junge Leute, bei deren Beiträgen ich schon nur nach wenigen Worten verzweifelt die Augen gen Himmel drehte. Kaum kritische Meinungen, kaum Leute mit Durchblick, ein Haufen naiver kleiner Kinder, denen man jedes Jahr aufs neue den selben alten Scheiss für teuer Geld andrehen konnte. Kommerziell die IDEALE Zielgruppe also, ich war ja früher nicht anders ;)

Ok, weiter geschaut. Kleine, private Seiten gabe es zu Haufe. Doch entweder war die Schreibe entweder unterirdisch schlecht (ok, ich bin selbst alles andere als perfekt, aber zumindest einige Grundregeln in Punkto Rechtschreibung und Grammatik sollte man beachten). Oder langweilig, weil man einfach nur das wiederholte, was woanders bereits gesagt wurde. Oder es wurden nur kommentarlos News gepostet. Oder es wurden gar erschröckliche Reviews eingestellt, nur um von den Publishern Belegexemplare zu ergattern oder auf der Games Convention mit Presseausweis angeben zu können.

Dann bin ich eines Tages bei Krawall auf einen Link zu Working-Title gestoßen. Auf den ersten Blick auch nur so eines dieser kleinen Hobby-Projekte. Auf den zweiten Blick standen da eine Menge Artikel. Gut geschriebene Artikel. Von Leuten, die schreiben konnten. Und die auch etwas zu sagen hatten. Die Drei von der Tankstelle (Fabian Walden, Natalie Maertens und Stefan Lindner) kamen einst der Gameswelt, hatten schon enstprechende Erfahrung in der Branche und wollten mit "wt" etwas neues versuchen. Das "Neue" waren Artikel, Interviews, Reviews und Kolumnen mit einem sehr subjektiven Touch, frei von redaktionellen Zwängen, frei von der immerwährenden Gefahr mit den wirtschaftlichen Interessen der Anzeigenabteilung zu kollidieren. Klar erkennbar parteilich. Kein Versuch den Schein von Objektivität zu wahren. Aber immer ruhig und sachlich, nur sehr selten polemisch, nie ausfallend. Und immer bemüht, dem Leser zu zeigen, WARUM man dieser Meinung war. Nie den Anspruch auf alleinige Deutungshoheit erhebend.

Ganz grandios waren da zB. Fabian Waldens Reviews zu "Okami" oder "Defcon: Everybody dies". Kein nüchternes, ödes Abhaken von Feature-Checklisten. Das waren keine Reviews mehr, sondern fast schon Essays über seine Gefühle und Eindrücke beim Spielen. Er hat nicht das Spiel beschrieben, sondern das beschrieben, was beim Spielen mit ihm, in ihm passierte.

Doch leider war "wt" nur ein kurzes Leben beschieden. Gerade mal ein Jahr beglückte man die Welt. Dann war Schluss. Schreibblockade. Die zunehmende Unlust, ständig Sony wegen der am laufenden Band auftretenen Horrormeldungen und Marketing-Katastrophen in die Pfanne hauen zu müssen (!). Neue berufliche Perpektiven. Das Leben ...

Ich will es nicht länger leugnen. Die Schreibe von "wt" ist mein Vorbild. Die Art und Weise, wie man sich hier über alle möglichen Themen im Zusammenhang mit Spielen ausgelassen hatte. Kompetent, sachlich, subjektiv, rauh, ungefiltert, glaubwürdig, ehrlich. Kein flaches, lebloses Hochglanz-Gehype und kein Herumkriechen im Sumpf der Inkompetenz. Sollte ich auch nur jemals ansatzweise zumindest die erste Treppenstufe auf dem Weg zu diesem Niveau erreichen können, wäre ich schon hochzufrieden.