Mittwoch, 13. Juni 2007

Personalprobleme

Eines der Lieblingsthemen, über die sich Gamer landauf, landab immer echauffieren, ist der allgemeine Qualitätszustand von Spielen, in erster Linie von PC-Spielen.

Wer daran schuld ist (DIIIE Publisher, DIIIE Entwickler) oder dass man selber einen nicht unbeträchtlichen Teil an dieser Misere hat (zuerst in Foren ausheulen, dann doch ein Jahr später den min. genauso verbuggten Nachfolger kaufen), sei hier mal nicht das Thema. Ich möchte mich hier sogar ausdrücklich (!) nicht in plumpen Schuldzuweisungen ergehen, sondern einfach mal einen Blick hinter die Kulissen werfen und das Augenmerk des Leser auf die Menschen richten, die bei Studios und Publishern beschäftigt sind und die sich dort redlich abmühen vernünftige Arbeit abzuliefern, die jedoch in den Fallstricken eines seltsamen Miniaturuniversums gefangen sind und oftmals gar nicht so können, wie sie eigentlich wollen. Ich selbst befand mich dereinst in diesem Universum und war teilweise für Spiele verantwortlich, über die man besser den Mantel des Schweigens decken sollte.

Wo fangen wir da am Besten an ... ok, nehmen wir mal die Publisher, die gerne für den Hort des Bösen und Quelle allen Übels auf der Welt gehalten werden.

Ja, Publisher SIND tatsächlich ein Hort des Bösen und Quell zumindest einer Menge Übel innerhalb der Branche. So isses ja nicht. Denn dort sind in erster Linie Leute beschäftigt, die von Spielen und Informatik genauso viel Ahnung haben, wie eine Supermarkt-Kassierin vom Kartoffelchips machen oder der Klopapierherstellung. Sie kassiert nur. Mehr muss sie nicht wissen. Beim Publisher sind nun in der Regel ein Haufen Leute beschäftigt, die sich mehrheitlich einem Thema widmen. Dem Spieleverkaufen! Mehr wird dort nicht verlangt, mehr wird dort nicht gefordert. Manchmal wird es sogar als hinderlich empfunden, wenn sich zB. ein Vertriebler für die Spiele interessiert, die er verkaufen soll, denn viele Köche verderben den Brei und jeder hat was zu sagen und jeder will mitreden. Warum jeder mitreden kann und viele Köche tatsächlich den Brei verderben (obwohl es gar nicht ihr Aufgabenbereich ist) später einige Anmerkungen.

Gut, nehmen wir also den Vertriebler. Der Vertriebler bekommt von seinem Vorgesetzten eine Zielvorgabe: "Verkaufe an den Großhandel x Stück von Spiel 2. Für x plus bekommst Du Boni, damit Du Dein Grundgehalt aufbessern kannst." So weit, so gut. Der Vertriebler greift also zum Telephon und fängt an seine Kontakte abzugrasen. Dummerweise bekommt er jedoch von Spiel 2 nur x minus verkauft, weil der Großhandel nicht soviele Stückzahlen abnehmen will. Zusätzlich bekommt sein Vorgesetzter Ärger mit dem Vorstand (nahezu alle Publisher sind börsennotiert), weil von Spiel 1 zuviele Retouren aus dem Handel zurückkamen und irgendwo unverkauft vor sich hingammeln. Also geht der Vertriebler zum Marketing-Fritzen und sagt zu ihm: "Hey, Marketing-Fritze! Der Handel will Spiel 2 nicht und Spiel 1 hat sich schauerlich verkauft! Mach was, heiz die Nachfrage an. Tu gefälligst Deinen Job!" und gibt so brav den Druck weiter, den er selber verspürt.

Der Marketing-Fritze ist nicht blöd und scheisst erstmal seine eigenen Untergebenen an, warum diese keinen Hype für Spiel 1 generieren konnten und Spiel 2 auch keine Sau interessiert. Als zweites fordert er vom Vorstand ein höheres Marketingbudget für Spiel 3 an, weil er tatsächlich mit der sonst üblichen Kümmersumme nicht viel reissen konnte.

Der Vorstand kotzt deswegen nur rum, weil das die ganze Kalkulation für Spiel 3 verhagelt. Dumm ist der Vorstand jedoch nicht immer. Er weiß sehr wohl, dass man mit Kümmerspielen wie Nr. 1 und 2 eben nicht viel Interesse erzeugen kann. Weil selbst Scheisse mit Zuckerguß immer noch nach Scheisse schmeckt. Also nimmt er sich den im Hause für Spiel 3 zuständigen Producer zur Brust und fordert von ihm, dass Spiel 3 total sexy sein muss. Oft belässt man es nicht mit dieser nebulösen Aussage und der arme Producer hat nach der Vorstandsitzung nicht nur rote Ohren von all den Backpfeiffen, sondern auch einen dicken Kopf von allen den Vorschlägen und Ideen, die der Vorstand UNBEDINGT eingebaut haben will. In der Regel bestehen diese Vorschläge aus einem Sammelsurium an Featuren aus anderen, erfolgreicheren Spielen der Konkurrenz. Weil, dort hat's ja geklappt, oder nicht?

Der Producer geht nun mit dieser Liste zum Entwickler und bittet ihn untertänigst doch bitte, bitte zumindest einen Teil dieser Liste umzusetzen. Ja, der Producer ist oft eine arme Sau, weil er nur selten jemanden hat, auf dessen Buckel er abkotzen kann. Zwar kann er ab und an Druck in Richtung Vertrieb und Marketing ablassen, wenn diese hirntoten Zombies nur Scheisse bauen und beste Chancen verbaseln, aber den Schwarzen Peter hat dennoch meist er. Es gibt zwar in dieser Hierarchie noch jemanden, der noch ärmer dran ist, aber auch dazu später mehr. Der Producer kann zwar dem Entwickler mit Entzug der nächsten Milestone-Zahlung drohen, doch das ist in der Regel KEINE gute Idee. Eher kippt der Entwickler das ganze Projekt und fängt bei einem anderen Publisher neu an, als dass man ihn damit zu etwas zwingen könnte.

Der Entwickler fühlt sich nun in seiner künstlerischen Vision eingeschränkt und gibt zuerst die beleidigte Leberwurst. Er wurstelt dann einfach einige Monate weiter an irgendeinem unbedeutenden Feature herum, anstatt die natürlich vollkommen schwachsinnigen Vorstellungen und Wünsche des Vorstandes umzusetzen. Dazu muss man aber sagen, dass der Entwickler auch ohne den Anruf des Producers gerne an nebensächlichen Features herumbasteln würde. Weil er nämlich keine Ahnung hat, wie man ein komplexes Softwareprojekt, wie es heute Spiele darstellen, termin- und fristgerecht abliefert. Weil er keine Ahnung von Projekt-Management hat. Weil er keine Ahnung von moderner Software-Architektur hat. Weil sein eigenes Personal in der Mehrheit aus irgendwelchen jungen, zwar sehr talentierten und begabten, aber eben auch unerfahrenen jungen Leuten besteht, die eine solide Informatik-Ausbildung nur vom Hörensagen kennen. "Richtige" Fachleute könnte sich aber weder Entwickler noch Publisher leisten, denn sie wären viel teuer und würden somit ... richtig ... die Kalkulation über den Haufen werfen. Achja, der Publisher benötigt natürlich auch Fachleute, die Projekt-Management beherrschen, denn all diese genannten Einzelanstrengungen müssen unter einen Hut gebracht werden. Damit eben kein Chaos entsteht. Nur sind solche Leute nicht billig. Wer da was kann, kann ein gutes Gehalt verlangen oder er geht wieder in die "normale", "seröse" Software-Industrie, wo man neben einem guten Gehalt auch geregelte Arbeitsbedingungen kennt. Weil dort eben gut geplant wird.

Und so vergeht Monat um Monat, in denen sich Entwickler, Producer, Marketing-Fritze, Vetriebler und Vorstand gegenseitig das Leben schwer machen, weil nämlich ALLE nur planlos durch die Gegend herumfuhrwerken. Die Entwicklung dauert an, der Releasetermin muss verschoben werden. Die Kosten steigen, das Budget gerät jetzt heftig ausser Kontrolle.

Der Publisher zieht nun die Reißleine. Das Spiel wird in Tag- und Nachtschichten beim Entwickler aus der Tür geprügelt. Beim Publisher kommt Panik auf, weil irgendwelche Kleinfehler bei der Goldmaster oder dem Verpackungsdesign geändert werden müssen. Der Vorstand wirft drei Skunden vor Schluss gerne noch einen Änderungswunsch ein. Kommt man diesem Wunsch nicht nach, hält der Vorstand solange die Luft an, bis der Wunsch umgesetzt wird. Es wird eventuell noch eine Releaseverschiebung notwendig. Der Vertrieb dreht hohl, weil natürlich der Großhandel ebenso seinen eigenen Warenterminkalender einhalten muss.

Und dann steht das Spiel endlich im Regal! Erste Reviews treffen ein. Der Marketing-Fritze ist erfreut bei den Magazinen, deren Redakteure er "rumgekriegt" hat. Bei anderen Presseorganen werden wüste Boykottdrohungen ausgestoßen und mit dem Entzug der Anzeigenschaltung gedroht. Die unbotmäßigen Presseorgane knicken darauf meist ein und versprechen beim nächsten Mal Besserung. Das Spiel ist maßlos verbuggt, eine gameplay-technische Katastrophe, wird aber in den ersten paar Wochen oft genug gekauft, damit es kein Totalflopp wird.

Dieser ständige Chaos-Zustand ist leider system-immanent. Weder möchte der Publisher zusehen, dass seine investierten Millionen den Bach runtergehen. Weder möchte der Entwickler ständig Crunch-Time haben oder Gefahr laufen, dass er für das nächste Projekt keinen Finanzier bekommt, weil seine Spiele zu oft gefloppt sind. Weder möchte der Redakteur den Kotau vor der verlagseigenen Anzeigenabteilung machen oder selber anfangen die Schere im Kopf anzusetzen. Doch obwohl alle gute Arbeit leisten wollen und niemand absichtlich Bockmist bauen möchte ... es klappt nicht!

Die Videospielbranche ist viel zu schnell gewachsen, war zu erfolgreich! Denn nur deswegen sind dort Leute in verantwortlicher Position, die einfach nicht mehr das Knowhow haben, welches ihre jetzige Position aber erfordert. Die Firma ist zu schnell gewachsen, sie sind nicht mitgewachsen. Kann passieren. Ist auch nicht gerade leicht, sich selbst gegenüber die eigene Inkompetenz einzugestehen.

Doch, eine Schuldzuweisung habe ich: Windige Arschlöcher, die erkannt haben, dass man mit Computerspielen den schnellen Euro, den schnellen Dollar machen kann und unverfroren einen Schrunz nach dem anderen ins Regal stellen. Weil sie nämlich sehen, dass dieser Schrunz doch zumindest häufig genug verkauft wird, damit sie ihren persönlichen Schnitt damit machen. Das sind Leute, die nicht das geringste Interesse an Qualität und "guten Produkten" haben. Das sind Leute, keine Skrupel dabei haben Mitarbeiter zu verbrauchen und wegzuwerfen. Weil es stehen doch draussen vor der Tür genügend Naivlinge, die ihre Oma für einen Job in der Spieleindustrie töten würden. Früher haben solche Menschen den Siedlern im Wilden Westen nutzlose Wundertinkturen verkauft. Heute findet man diese Scharlatan noch viel zu häufig in den Reihen der Spieleindustrie.

Und hier, wie versprochen noch der absolute Underdog der Spieleindustrie ...

Der QA-Mitarbeiter!

QA-Leute sind die letzten der Letzten, der Pickel am Wurmfortsatz des Hinterns der Firma. Weil sie viel Geld kosten (QA-Arbeit ist zeit- und personalintensiv) und keinen unmittelbaren, meßbaren Anteil am Umsatz haben. Deswegen bekommen sie auch kaum Ressourcen. Deswegen kann oft genug nur unzureichend getestet werden. Sie sind im Rest der Firma und bei den Entwicklern auch nicht gerade beliebt, weil es eben ihr Job ist ständig mit Kritik und Fehlerberichten den Verantwortlichen in den Ohren zu liegen. Weil der Rest der Firma und die Entwickler nämlich meist so unprofessionell sind und diese Kritik persönlich nehmen. Weil auch QA-Leute so unprofessionell sind und Kritik persönlich treffend abfassen :) . Und weil sie nach dem Release für jeden Bug verantwortlich gemacht werden, obwohl sie im Grunde überhaupt nichts zu entscheiden hatten. Ganz arme Schweine sind das.

Ja, ich gebe zu, dass ich hier ab und an etwas übertrieben habe. Aber nur leicht.
Manchmal klappt das auch richtig gut, weil entweder beim Entwickler und/oder beim Publisher doch genügend Leute sitzen, die wissen, was sie da tun. Electronic Arts hat zB. branchenintern einen sehr guten Ruf, weil man dort vor Jahren als erstes begann, dieses Tohuwabohu auf professionelle Beine zustellen. Andere Publisher haben notgedrungen nachziehen müssen. So langsam halten auch moderne Programmier- und Planungsmethoden Einzug bei den Studios und Entwicklern. Weil ansonsten die großen, komplexen Projekte überhaupt nicht mehr zu stemmen wären. Es wird so langsam. Die Branche wird ganz allmählich doch erwachsen ;)