Das größte Backup-System der Welt
Final Fantasy 5 will nicht so recht zünden. Bzw. ich werde mit dem Spiel nicht so recht warm. Kommt vor, nicht weiter tragisch. Ein anderer Tag, ein anderer Versuch. Tragisch ist dann aber das darauf folgende Geschehen ...
Statt FF5 wollte ich gestern abend dann nur noch ein, zwei Level Monster Bash, Cosmo's Cosmic Adventures oder Biomenace spielen und dann den Rechner ausschalten. Zuviel frische Luft ist nicht gut für's Zockergemüt. Gesagt, getan! Harzzach öffnete also die schweren Türen seiner Softwaregruft, füllte die Öllampe auf und machte sich auf den Weg in das weit hinten liegende Apogee-Gewölbe. Doch anstatt eines frisch polierten Silberlings begrüßte gähnende Leere Harzzachs forschendem Blick. Der Altar war leer!
Wo war diese CD?
Missmutig schnaubend machte sich Harzzach auf, die in der Nachbarschaft liegenden Gewölbe zu durchsuchen. Irgendwo hier, auf der DOS-Ebene der Gruft sollte sich das Kleinod doch finden lassen. Aber Ach und Weh, viele Gewölbe standen leer, nur zwei kümmerliche CDs konnte Harzzach sicherstellen. Wo war der Rest? Geplündert, gestohlen oder einfach nur verlegt? Leicht panisch stieg Harzzach höher und suchte die neueren Ruhestätten nach den kostbaren Grabbeigaben ab. Doch fand er dort nur das, was zu erwarten war. Billiger RTS-Schmuck und Katzengold-Egoshooter! Wo waren, verdammt nochmal, diese alten Schätze?
Allmählich gelangte Harzzach zu dem peinlichem Schluss, dass hier nicht Grabräuber ihr Unwesen getrieben hatten, sondern er wohl selber Schuld am Verschwinden vieler Spiele aus der Goldenen Ära war. Nach einigen Minuten griesgrämigen Wandanstarrens und etlicher gemurmelter Flüche (nur nicht zu laut, um nicht die Geister all der hier begrabenen Spielentwickler zu verärgern) traf er Vorbereitungen für eine der umfangreichsten Re-Aquirierungsaktionen, welche das Adelsgeschlecht derer von und zu Senior Gamer je gesehen hatte.
Zunächst begann Harzzach eine Expedition in die lebensfeindliche Hölle des Disketten-Tartartos vorzubereiten. Dort, in den finsteren Abgründen, tief im Inneren der Gamer-Welt, hatte Harzzach dereinst alle alten Spiele-Originale verbannt, nachdem er ihre Lebensessenz auf CD gesichert und gebrannt hatte. Träger wurden angeheuert. Verpflegung für Wochen eingekauft und einige wagemutige Söldner unter Vertrag genommen, welche die Expedition vor den Übergriffen mutierter Spinnen und wildgewordener Kellerasseln beschützen sollten. Und als Harzzach dann schlussendlich vor den ca. 200 Männern stand, fiel ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen, wie unsinnig diese Expedition doch war. Zuerst der lange Abstieg in den Tartaros, dann die Suche nach den Disketten und alten Spielepackungen, der mit Sicherheit verlustreiche Kampf gegen Horden von Unterweltfauna ... nur um dann Wochen später, halbverhungert und abgerissen einen Haufen von Datenträgern ans Tageslicht zu befördern, deren Datenintegrität wahrscheinlich nicht mehr soooo sehr gegeben war? Und für die er zuerst noch das prähistorische 3.5-Zoll-Laufwerk wieder einbauen müsste? Dabei gab es doch eine so simple Lösung, so naheliegend, so zwingend logisch! Und so löste Harzzach die Expedition kurzerhand einfach wieder auf und schickte seine Mannen nach Hause zu Frau und Kind.
Nachdem sich der Staub der sich hastig davoneilenden Träger gelegt hatte (niemand steigt gerne oder gar freiwillig in den Tartaros hinab), begab sich Harzzach wieder an den Rechner und tat das, wa er gleich hätte machen sollen. Er warf den Esel und die Bittorrent-Suchmaschine seines Vertrauens an und suchte das große, weite Netz nach allerlei DOS-Compilations ab, die dort zu Dutzenden herumschwirren. Denn das Internet hat einfach alles, was das Herz begehrt und der Sammler sucht! Was einst dort hochgeladen wurde, geht nie mehr verloren. Weder Erdbeben, noch Sturmfluten, noch Vulkanausbrüche können dieses Archiv zerstören. Kein Brand, kein Feuer, kein Desaster von Alexandria wird das Vermachtnis des Spielezeitalters auslöschen können. Weder unlesbare Uralt-Formate, weder inkompatible Hardware, noch fehlende Treiber werden diese Daten ins Informationsnirwana stürzen können.
Das größte Backup-System der Welt ist meiner Meinung nach (und jetzt ernsthaft) das einzige Mittel gegen das Digitale Vergessen, welches unsere Kinder und Enkel in allerspätestens 100 Jahren ereilen wird. Wenn CDs verrotten, Disketten und Festplatten ihre magnetischen Informationen verlieren und die DRM-Seuche kulturelle Erzeugnisse auf einen Schlag aus dem gemeinsamen Vermächtnis der Menschheit fegen kann ... genügt einfach nur der Blick in die große, weite Welt des P2P!
Vergessen war gestern!