Offen ausgesprochen
Normalerweise schweigen kommerzielle Spielemedien (seien es Print-Erzeugnisse oder Online-Portale) zum Thema Schwarzkopien. Vor einigen Jahren wurde auch noch aktiv an der Legendenbildung (Kopien sind phöse, weil Diebstahl) zu diesem Thema mitgestrickt, in dem man der Industrie eine Plattform bot, auf der sie ihre jeweilige Propaganda ablassen konnte, ohne dass auch nur der Hauch eines Zweifels a la "Habt ihr auch Beweise für Eure Behauptungen?" aufkam. Oder man erinnere sich zB. an die regelmäßigen Lächerlichmachungen im Leserbriefbereich der PC Games durch Gestalten wie Rainer Rosshirt. Auch wurden entsprechende Aussagen in den eigenen Foren gelöscht, weil man nicht wollte, dass sich Leser zu diesen Thema äussern. Auch hat man es meines Wissens nicht geschafft, sogar auf dem Höhepunkt der Starforce-Ablehnung, einen vernünftig recherchierten Artikel zum Thema Kopierschutz auf die Beine zu stellen. Man muss es fast schon als Fortschritt ansehen, wenn in einer Review zu Bioshock oder Mass Effect-PC deren Kopierschutz und seine Funktionsweise zumindest in einem Nebensatz erwähnt werden.
Nun, ich möchte nicht direkt behaupten, dass Journalisten in diesem Bereich grundsätzlich unfähig sind. Es kann auch gut sei, dass sie durchaus gerne bereit wären, einen objektiven und sorgfältig recherchierten Artikel zu diesem Thema zu verfassen, die Redaktion oder Geschäftsleitung aber keine Lust hat, es sich mit den Publishern zu verscherzen. Selbst wenn ein Großteil der Anzeigen von Firmen bezahlt werden, die sich nicht im Spielebereich tummeln, so sind Exklusiv-Interviews, Exklusiv-Previews und Vorab-Muster ein ganz gewichtiges Argument im Konkurrenzkampf mit anderen Magazinen.
Von daher war ich gestern doch über alle Maßen überrascht, auf Eurogamer.net einen Artikel zu finden, der so gar nicht in mein Bild von der etablierten, kommerziellen Spielepresse passt. Ein Artikel, in dem zwei Dinge angesprochen werden, die mich selbst schon seit einer Weile an der ganzen Diskussion zu diesem Thema stören.
1. Niemand weiß nichts! Es gibt keine wissenschaftlich belegten Erkenntnisse darüber, ob Kopien einen Einfluss auf den Umsatz haben und wenn ja, wie groß dieser Einfluss überhaupt ist. Es werden aber auf der Basis von unbewiesenen Behauptungen Gesetze verabschiedet und der Untergang einer ganzen Branche an die Wand gemalt, denn die Zahlen, mit denen die Industrie gerne um sich wirft, um die Schädlichkeit von Kopien darzustellen, sind nicht nur nachweislich falsch, sondern schlichtweg aus der Luft gegriffene Phantasienummern. Auf der anderen Seite fehlt den Verfechtern einer entspannteren Betrachtunsgweise zu diesem Thema aber auch entsprechendes Zahlenmaterial, um die relative Harmlosigkeit von Kopien nachzuweisen. Niemand weiß nichts genaues. Es schwirren maximal einige Indizien durch den Raum, die man aber sowohl in den Dienst der einen als auch der anderen "Seite" stellen kann.
2. Anstatt sich jetzt aber hinzusetzen und diesen Themenkomplex zu untersuchen, wird auf Seiten der Industrie weiterhin angenommen, dass Schwarzkopien ganz arg schrecklich sind und es wird das Ende der Welt heraufbeschworen, wenn nichts dagegen getan wird. Eine (Wahn)vorstellung, die, wie Fahey richtig erkennt, existiert, seit es Computerspiele gibt. Ein Sachverhalt, der als Problem betrachtet wird, ohne zu überprüfen, ob er überhaupt ein Problem darstellt. Eine Urban Legend, die von vielen einfach so übernommen wird, weil viele Menschen immer noch in analogen Denkmustern feststecken und jede unerlaubte Kopie als Diebstahl betrachten oder weil sie nicht selber nachdenken und der Einfachheit halber derartige Aussagen übernehmen. Weil, muss ja jemand Schuld sein! An was auch immer ...
Und folgerichtig schliesst Fahey mit der Aussage, dass sich erst dann eine "Lösung" für dieses "Problem" finden lässt, wenn man a) endlich genaue Aussagen über entsprechende Wechselwirkungen machen kann und b) man sich von diesem besagten Mantra löst, welches eine ganze Industrie seit Jahrzehnten in einer Art Denkverbot gefangenhält.
Noch vor nur wenigen Jahren wäre ein Artikel mit derartigen Aussagen meiner Meinung nach nicht in einem kommerziellen Medium möglich gewesen.
Es ändet sich etwas ...
Und ich bleibe bei meiner eigenen, vollkommen aus der Luft gegriffenen Behauptung, dass unsere Enkel nur noch aus wirtschaftstheoretischen Geschichtsbüchern etwas über die Copyright-Kriege vom Anfang des Jahrhunderts erfahren werden. Weil zu Lebzeiten unserer Enkel die Sache erledigt sein wird und sich neue Vertriebs- und Verdienstmöglichkeiten herausgebildet haben. Denn ebenso, wie es heute schon absehbar ist, dass man keine globalen Megakonzerne mehr benötigt, um Musik nicht nur zu machen, sondern sie auch weit zu verbreiten und davon zu leben, kann es gut möglich sein, dass man in einigen Jahrzehnten auch keine Mega-Publisher mehr benötigt, um attraktive Spiele zu machen und davon leben zu können.
Denn nichts ist für die Ewigkeit ...