Montag, 20. August 2007

Zwei Welten, getrennt durch gigantische Abgründe

Ein kleines Essay über die Unvereinbarkeit zwischen dem spielenden Bewusstsein von Harzzach und dem Adventure-Subgenre mit der Sammelbezeichnung "Myst und Myst-Klone".

Myst war seinerzeit, wie "The 7th Guest", eine kleine Revolution. Brilliante Rendergraphiken, orchestrale Musik, Videoschnipsel mit "richtigen" Schauspielern. Alle Welt wollte Myst, es war in aller Munde. Warum auch immer ...

Auch Klein-Harzzach wollte es. Weil er damals als Spielefresser einfach alles spielen musste. Myst war aber auch eine einschneidende Erfahrung in Sachen "Fresst Scheisse! Milliarden Fliegen können nicht irren!".

Ja, es sah grandios aus! Ja, die Atmosphäre war einzigartig. Ja, es hatte schon was von einem kleinen, bewusstseinserweiternden Trip. Aber als Klein-Harzzach nach einigen Stunden später immer noch vollkommen verwirrt über die Startinsel stolperte und ÜBERHAUPT GAR KEINEN BLASSEN Schimmer hatte, was er denn hier wo, wann und vor allem wie tun sollte ... nun ja, sagen wir mal, das "Spiel" hat ihm nicht so sehr gefallen. Was ihn bedrückte, denn Myst sah einfach verdammt gut aus.

Dann kam Myst, Teil 2 und Teil 3 und Teil 4 und noch viele, viele andere Myst-Klone, die sich alle durch ein gemeinsames Merkmal auszeichneten: Der hier seine Erfahrungen niederschreibende Unwürdige konnte sich zwar jedes Mal an der herrlichen Graphik ergötzen, scheiterte aber auch jedes Mal (!) bereits an den allerersten Rätseln. So langsam, aber sicher wuchs in mir die Erkenntnis, dass ich wohl schlichtweg zu doof für diese Art von multimedial aufgemotztem Kreuzworträtsel war. Nicht so tragisch, man muss im Leben Prioritäten setzen :)

Dennoch ... den Zocker in mir wurmte das. Immer noch! Oh, was habe ich mich in den letzten Jahren immer wieder bemüht. Extra dann hervorgekramt, wenn ich wirklich entspannt war und auch die Muße hatte, mich in aller Ruhe mit allen Screens, Maschinen, Bedienelementen und Büchern zu beschäftigen. Doch nichts half. Ich, der ich LucasArts- und Sierra-Adventures zum Frühstück verspeist hatte, der in Studentenzeiten für einige verzweifelte Kommilitonen ein wandelnder Walkthrough war ... scheiterte kläglich, wenn es um Myst-Spiele ging. Auch wenn es "nur" ein blödes Spiel war ... es kratzte schon ein wenig am Ego, so war es nicht. Zudem, es sah auch immer so verdammt richtig gut aus. Alleine das kreative Potential von Graphikern, Sound-Designern und Musikern, welches in die fünf Myst-Spiele geflossen ist, hätte in so manch anderem Genre für mehrere Dutzend zusätzliche Produkte ausgereicht. Unglaublich! Und ich konnte es nie sehen, weil ich ... zu dumm für die interaktiven Elemente dieser Graphik-Demos war! So schade, so schade!

Doch warum? Warum war und ist das immer noch so? Ich denke, ich bin jetzt auf die Lösung gekommen.

Ich habe natürlich Walkthroughs für Myst-Spiele studiert. Und beim Lesen nur verständnislos den Kopf geschüttelt, anstatt (wie es bei anderen Spielen der Fall ist) ein klatschendes Geräusch hervorzurufen, wenn die flache Hand in Kontakt mit der Stirn kommt und mir ein aufseufzendes, geknurrtes "Arghl, da hätte ich ja auch selber draufkommen können!" entfährt. Weil es ja logisch ist, es so zu machen. Und nicht anders. Bei Myst-Rätseln hingegen starre ich verwirrt auf die vor mir liegende Lösung, weiß zwar nun, was ich tun müsste, bleibe aber dennoch dumm. Weil ich die Logik der Rätsel nicht begreife. Weil ich die Hinweise im Spiel nicht verstehe. Weil ich trotz deutlichen Hinweisens auf einen Hinweis, nicht verstehen kann, was daran nun ein Hinweis sein soll. Ich check's net!

Zudem wird in vielen Walkthroughs darauf hingewiesen, dass der Schlüssel zum Erfolg in diesen, ähem, "Spielen" darin liegt, dass man so tun muss, als ob man wirklich dort sei. Man muss das alles als Teil einer Realität begreifen und nicht als zu lösendes Puzzle, welches einem den Weg versperrt. Dann würde man auch die innere Logik der Rätsel erfassen und selbige lösen können. Und man benötigt sehr viel Geduld, bis man alle Hinweise gefunden, sie als Hinweise erkannt (!) und dann auch richtig kombiniert hat.

Nun, an der Immersion soll es nicht scheitern. Vor allem in den neueren Myst-Teile fällt es mir sehr leicht, Teil dieser Welt zu werden. Auch kann ich geduldig sein. Daran sollte es ebenfalls nicht scheitern. Ich kann dennoch nichts mit der "inneren Logik" dieser Welt, respektive der Rätsel anfangen, weil sie einer abstrakten Logik folgen, die mir verschlossen bleibt. Ich kann zB. entsprechendes Hintergrundwissen vorausgesetzt, einem Entwickler folgen, wenn dieser mir erklärt, was dieser Abschnitt des Programmes tun soll, bzw. warum er es eben nicht tut. Das ist nicht das Problem. Ich kann auch selber, hmm, "programmieren", wenn es in einfachen, beschreibenden Sprachen geschehen kann. Es ist mir jedoch nicht möglich, eine analoge Problemstellung soweit zu zerlegen, damit man sie in einer komplexeren Sprache wie zB. C++ darstellen kann.

Viele, viele (wenn nicht fast alle) Myst-Rätsel folgen jedoch dieser Art abstrakter Logik. Vielleicht nicht übermäßig kompliziert, aber man benötigt hierfür eine ganz spezielle "Denke", die mir abgeht. Vor allem dann, wenn ich vor etwas sitze, das ich als "Spiel" bezeichne und ich in diesem Moment "spielen" und nicht "arbeiten" will.

Und daher werden Myst und ich für den Rest meines Dasein für immer durch eine unüberwindliche Glasscheibe getrennt bleiben, durch die ich zwar hin und wieder ein kurzen Blick auf phantastische Landschaften erhaschen kann, die sich aber sofort beschlägt, wenn ich auch nur für einen Moment genauer hinschauen möchte.

Tragisch, nicht? ;-P

Mein Bruder, sehr viel analytischer und logischer als ich, konnte mit Myst nichts anfangen. Meine damalige Freundin, die als Ingenieurin mit erstklassigen Abschlüssen durchaus ein Faible für logisches und analytisches Denken hatte, gab auch nach kurzer Zeit frustriert auf und spielte lieber wieder ein "normales" Adventure. Von dieser, zugegebenermaßen sehr kleinen statistischen Basis aus, wage ich zu behaupten, dass min. 90% all derjenigen, die ein Myst-Spiel gekauft oder zumindest angespielt haben, nur einen Bruchteil des Spieles gesehen haben, weil sie an den Rätseln gescheitert sind. Gekauft wurde Myst nur deswegen, weil es die Leute auf der Packung mit brillianter Graphik getäuscht hat. Gekauft wurde es, weil der Käufer dachte. das wäre doch was für sein Kind, seine Frau, seine Freundin. Weil so ohne Gewalt und so ...

Myst! Paradebeispiel für eine (zumindest eine Zeitlang) kommerziell höchst erfolgreiche Mogelpackung :)