Donnerstag, 23. Oktober 2008

Der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung

Phil Harrison, ehemaliger TopDog von Sony Europe und jetziger TopDog bei Atari, hat auf einer Konferenz die Gründe aufgelistet, die seiner Meinung nach verantwortlich dafür sind, warum so viele Spiele kläglich scheitern:

"... because you don't know what you're building, you don't know how you're going to build it, you don't know who you're building it for, but you've got 60 people working on it and they've all running in different directions — that's how most games fail."

Nicht ohne Grund rechnet man in der Spiele-Industrie mit der "2 aus 10"-Regel. Zwei von zehn releasten Spielen bringen den Umsatz und Gewinn, der notwendig ist um die Firma über Wasser zu halten, während die anderen acht gerademal ihre Kosten hereinholen oder gleich ganz floppen. EA ist zB. nur deswegen die große Nummer Eins in der Branche geworden, weil sie es als Erster geschafft haben, die "2 aus 10"-Regel zu einer "3 oder gar 4 aus 10"-Regel zu machen.

Die von Harrison genannten Gründe und das Verhältnis von Erfolgstitel zu Flopptitel basiert auf Erfahrungswerten. Erfahrungswerte, die seit vielen, vielen Jahren in der Software-Industrie bekannt sind. Erfahrungswerte, die logischerweise auch auf die Spiele-Industrie zutreffen, denn Computerspiele sind nicht ganz überraschend ebenfalls Software. Jeder, der sich auch nur ein wenig mit Software-Entwicklung beschäftigt, weiß dies. Das ist kein Geheimwissen, das sind keine Heiligen Schriften, mit dem Blut schwarzer Katzen auf Menschenhaut geschrieben und verschlossen seit Jahrtausenden in einem düsteren Kloster irgendwo in Tibet.

· "You don't know, what you are building"
Am Anfang jedes Projektes gibt es ein Design-Konzept. Dieses Konzept erfährt im Laufe des Projektes eine Reihe von Änderungen, wenn man merkt, dass bestimmte Teile nicht so funktionieren, wie man sich das vorher vorgestellt hat. Das ist normal und auch notwendig. Der schwierige Teil dabei ist jedoch, trotz dieser Änderungen weiterhin ein klares Ziel vor Augen zu haben, damit das fertige Produkt auch genau das tut, was man vom ihm erwartet hat. Schwierig, aber nicht unmöglich. Dummerweise gibt es aber nicht wenige Verantwortungsträger in der Spiele-Entwicklung, die keine Ahnung von Tuten und Blasen haben, jedoch Entscheidungen treffen dürfen. Dann wird zB. entschieden, dass Spiel B auch die Features von Spiel A haben muss, weil Spiel A so erfolgreich war. Dass die Features von Spiel A in Spiel B zT. überhaupt keinen Sinn ergeben und auch nicht zum Design-Konzept passen, spielt keine Rolle. Und selbst Leute mit Fachkompetenz werden oft genug vom sog. Feature-Creep erfasst, wenn das Team den Fokus verliert und Feature um Feature einbaut, ohne darauf zu achten, ob diese Features auch dem Spiel dienen. Das Ergebnis ist dann der übliche uninspirierte 08/15-Quatsch.

· You don't know how you're going to build it
Mit ein Grund für die zT. unterirdische Qualität von Spielen oder die explodierenden Entwicklungskosten liegt in der Unerfahrenheit der Teams. Nur sehr zögerlich werden moderne Entwicklungsmethoden in der Spiele-Entwicklung angewandt, weil die meisten Programmierer nicht aus der akademischen Ecke kommen, sondern sich das Handwerk frickelnderweise selber beigebracht haben. Spaghetti-Code ist bei Spiele-Projekten nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Spaghetti-Code, der nur unter hohem Personaleinsatz erstellt, verändert, angepasst und gewartet werden kann. Personaleinsatz, der TEUER ist. Also werden Spiele ungeachtet ihres Qualitätsstandes einfach auf den Markt geworfen, weil kein Geld mehr da ist, um diesen Saustall auszumisten. Zusätzlich verstärkt wird diese Problematik durch die enorm hohe Personalfluktuation in der Branche. Es gibt nur wenig eingespielte Teams, die Arbeit wird zu großen Teilen von Freelancern gemacht, die nach Ende des Projektes hoffen müssen einen Anschlussjob zu finden. Ein anderes Projekt für einen anderen Auftraggeber mit anderen Teammitgliedern. Qualitätsarbeit ist hier nicht zu erwarten. Und schnell genug haben nicht wenige Leute in der Branche die Schnauze voll und suchen sich einen solideren Job in einer anderen Branche, da man nicht ewig 25 ist und sich ungestraft von Cola und kalter Pizza ernähren kann. Der Erfahrungsverlust, den Spielebranche dadurch erleidet, ist enorm.

· You don't know who you're bulding it for
Eng verbunden mit dem ersten Punkt, so liegt die Ursache für das Scheitern vieler Projekte an dem Umstand, dass es kein klares Ziel gibt, weil man nicht weiß für wen man das Spiel eigentlich entwickelt. Wer soll das spielen? Wer soll an dem Spiel Spass haben? Warum müssen in einem Adventure Action-Einlagen, Reaktionsspielchen und Stealth-Elemente eingebaut werden, wenn die große Mehrzahl der Spieler ein Adventure aber doch gerade wegen den Rätseln, der Präsentation und der Story kauft. Natürlich kann man etablierte und bekannte Gameplay-Mechanismen erweitern und kombinieren. Doch viel zu oft scheitert diese Kombination, weil (siehe Punkt 1 und 2), man nicht genau weiß, was man letztendlich erreichen will und wie man es am besten umsetzt.

Wie gesagt, das alles ist kein Hexenwerk, kein großes Geheimnis. Alles ist schon lange bekannt.

Und trotzdem wird in der Spiele-Industrie oft genug IMMER NOCH so vor sich hin gewurschtelt, als ob man im Wohnzimmer der Eltern hockt und für den Brotkasten ein paar Sprites und selbst programmierte Sounds zu einem Spiel zusammenpappt. Der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung, die Selbsterkenntnis, auf die warte ich in dieser Branche immer noch ...