Mittwoch, 16. Juli 2008

Fern aller Logik

In einem Kommentar zum gestrigen Rant über den alle Jahre wieder stattfindenden E3-Hypewahnsinn wurde mir gesagt, dass gerade ich als "Senior Gamer" doch über der Sache stehen sollte.

Prinzipiell muss ich dieser Aussage/Feststellung zustimmen.

Ja, ich sollte wirklich über diesem Kindergarten stehen. Ich tue es aber nicht. Ich kann nicht. Hier, in diesem Falle, ganz bewusst nicht. Weil ich feststelle, dass bei bestimmten Themen immer noch der Hals schwillt und mein Herz instinktiv literweise Blut in den Kopfbereich pumpt. Weil ich trotz all der Gelassenheit, die ich mir im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrzehnte mühsam angeeignet habe, ich bei manchen Themen scheinbar noch nicht genug Gelassenheit an den Tag legen kann. Weil gerade Computerspiele, die schönste Nebensächlichkeit unserer Zeit, mir eben nicht so nebensächlich sind, wie es Nebensächlichkeiten im Grunde sein sollten. Gut, speziell im Falle diverser Corporate-Themen geht mir die Hutschnur desöfteren aus rein persönlichen Motiven und Erfahrungen hoch. Aber das ist mein Problem und ist nicht Thema des heutigen Postings.

Heute will ich einen Versuch unternehmen, mich der Ursache zu nähern, warum ich als alter Sack mich ab und an nicht wie ein alter Sack benehmen kann. Warum ich Fanboys, obwohl ich nur über sie lachen kann, im Grunde ihres Herzens auch verstehen kann. Warum hat zB. die Meldung, dass es FF 13 auch auf der 360 geben wird, bei Kotaku.com mittlerweile über 1000 (!) Kommentare? Warum gibt es nicht wenige Leute, die trotz aller negativen Nachrichten um Flagship und Hellgate, trotz aller klar objektiv und rational erkennbaren Fakten, dass hier die Spieler nach Strich und Faden verarscht wurden, immer noch Firma und Spiel vehement gegen jedwede Kritik verteidigen? Sind die alle doof, oder was?

Ja, teilweise schon. Aber ein geringeres intellektuelles Niveau ist allerhöchtens ein Indiz für eine mögliche "Gefährdung", keine zwangsläufige Folge und im Umkehrschluss ist es auch kein Schutz, wenn man etwas mehr in der Birne hat Wer zB. etwa 60-70 Jahre zurückblickt, wird nicht umhin kommen, gerade bei den Intellektuellen Westeuropas ein höchst fatales Fanboytum für Diktatoren wie Stalin oder Hitler festzustellen, wo man sich zu Recht fragen muss, wo denn hier all der Intellekt geblieben ist, mit dem sich diese Leute so gern schmückten?

Denn Intellekt und gesunder Menschenverstand schützen uns nicht, nicht im Geringsten vor diversen Torheiten, wenn unsere Emotionen Überhand gewinnen. Wenn wir, anstatt alle Fakten zu betrachten, um danach einen logischen Schluss aus dieser Faktenlage zu ziehen, uns lieber die Fakten zusammensuchen, die unser Wunschbild von der Wirklichkeit bestätigen. Weil uns unsere Emotionen, unser Sehnen und unser Wünschen in diesem Moment wichtiger sind, als das was wirklich IST. Weil wir Menschen sehr gut im Uminterpretieren unserer Sinneseindrücke sein können, wenn es denn darauf ankommt :)

Und Spiele sprechen uns auf einer sehr emotionalen Ebene an. Sie lassen uns nicht kalt, selbst wenn wir nur Schach spielen würden.

Daher rumort es auch in meinem Innersten, wenn ich mir die den alljährlich widerkehrenden Messe-Hype anschaue. Deswegen ist mir gestern auch der Kragen geplatzt. Gerade WEIL es mich nicht kalt lässt.

Daher lässt es es mich auch nicht kalt, wenn ich feststelle, dass mich Jahr um Jahr immer mehr neue Spiele kaltlassen. Gerade weil ich sehr viel angenehme und schöne Emotionen mit diesem Hobby verbinde. Liegt es an mir? Liegt es an den Spielen? Höchstwahrscheinlich liegt es an mir, da sich bis auf die Optik die Spiele in den letzten 20 Jahren eigentlich kaum verändert haben. Aber ich habe mich in den letzten 20 Jahren ganz erheblich verändert. Nicht nur äusserlich ...

Daher stört es mich auch immer mehr, dass Spiele nicht mitgewachsen sind. Ein Umstand, den ich rein rational zwar begründen und nachvollziehen kann (Marktgesetze, Massengeschmack, junges Medium, blablubb), der mir aber dennoch ganz gewaltig aufstößt, weil ich mit Spielen nur wenig Rationalität, dafür aber umso mehr Emotionalität verbinden kann und will.

Ich kann auch das allgegenwärtige Marketing rein rational begründen und seine Existenz rein rational akzeptieren. Weil dies in unserer Überangebotswirtschaft nicht anders funktionieren kann. Dennoch bekomme ich regelmäßig die Krätze, wenn so eine Konzern-Drohne den Mund aufmacht und der übliche Neusprech und Spin sein Gift verbreitet.

Natürlich könnte ich dieses Gesabbel einfach ignorieren, gerade WEIL ich es durchschaue. Natürlich könnte ich in aller Ruhe dasitzen und auf den Tag warten, an dem es diese Spiele für Erwachsene gibt. Weil dieser Tag kommen wird. Zwangsläufig. Unvermeidlich. Weil ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Weil diese Entwicklungen bei Literatur, Malerei, Musik und Film als zT. wesentlich ältere Kunst- und Unterhaltungsformen schon stattgefunden haben und das Medium Computerspiele sich hier in nichts von den "Klassikern" unterscheidet.

Ich WILL aber nicht ruhig dasitzen, Tee trinken und meinem Hund das Fell kraulen, während dieser seine müden, alten Knochen auf der Veranda ausstreckt, um sie in den letzten Sonnenstrahlen des Tages zu wärmen. Der Umstand, dass ich älter geworden bin, bedeutet noch lange nicht, dass ich schon tot bin, dammich!

Ich WILL mich weiterhin aufregen und rumzetern. Mir das Maul über miserable Spiele zerreissen. Eimerweise Hohn und Spott über inkompetente Entwickler und Schlipsträger leeren. In all dem mittelmäßigen, langweiligen Schrunz unvermutet doch hin und wieder auf Perlen zu stoßen und mich darüber zu freuen.

Weil Spiele zwar nebensächlich sind, zumindest für mich aber die schönste Nebensächlichkeit der Welt darstellen.