Freitag, 11. Juli 2008

Ein Herz für alte Säcke

Ich denke, mittlerweile hat's jeder mitbekommen, oder?

CD Projekt, die Macher von "The Witcher", wollen mit der Website "Good Old Games" eine Einkaufsplattform für ausgewählte ältere PC-Spiele etablieren. Mehr Infos und Interveiws gibt es hier und hier.

Ja, richtig. "Good Old Games" soll wirklich für das stehen, was der Name vermuten lässt. Dort soll man all die großen Klassiker aus der Vergangenheit des PCs erstehen können. Und zwar nicht einfach nur der CD-Inhalt gerippt und online gestellt, sondern überarbeitet und gepatched, damit diese alten Titel ohne Probleme auf XP oder Vista laufen können. Es wird auch angestrebt Widescreen-Fanpatches und andere Fan-Modifikationen zu integrieren. Teilweise hat CD Project bereits den Quellcode mancher Spiele bekommen, um derartige Änderungen vornehmen zu können. Zusätzlich soll es hochauflösende Boxart, Handbücher, Concept Art und ausführliche, bebilderte Walkthroughs als zusätzliches Gimmick zu jedem Titel geben.

Und das alles selbstverständlich ohne DRM. Kaufen, um zu behalten.

Auch wenn ich aus der Zeit, die "Good Old Games" vornehmlich abdecken will (Mitte/Anfang der 90er bis Mitte der 00er) eigentlich schon jedes PC-Spiel habe, welches mich auch nur ansatzweise interessiert hat. Auch wenn ich bislang nicht in die Verlegenheit geraten bin, dass ich eine CD nicht mehr lesen konnte, weil ich sie früher wie einen Bierdeckel behandelt habe. Auch wenn ich alle meine alten Disketten-Spiele mittlerweile digitalisiert, auf DVD UND auf Festplatte gesichert habe. Auch wenn ich also bei GOG wahrscheinlich nichts mehr finden werden, was noch in meiner Sammlung fehlt ...

Bei Preisen von 5 bis 10 Dollar, ohne DRM, garantierter Lauffähigkeit mit modernen Betriebssystemen ohne dass ich eine Frickelorgie starten muss, aufgepeppt mit Fan-Patches und Zusatzmaterial, hmmm ... ich könnte hier und da vielleicht doch schwach werden. Impulskauf und so.

Nicht nur, dass ich dieser Geschäftsidee viel Erfolg wünsche, weil ich als alter Sack sie für nahezu unwiderstehlich charmant halte, ich würde mir den Erfolg dieser Idee auch wünschen, damit der Rest der Branche aus zweierlei Gründen ein wenig in die Puschen kommt.

1. Vor allem Publisher wie EA, Activision oder Ubisoft besitzen auf Grund ihrer langen Geschäftstätigkeit und x Firmenaufkäufen einen IMMENSEN Backkatalog alter Titel, deren Potential bislang nicht angetastet wurde. Schaut man sich zb. die Webseiten der großen Publisher an, so findet man in der Regel kaum Informationen zu Spielen, die älter als zwei Jahre sind. Wenn man Glück hat, gibt es noch einen Link auf entsprechende Pachtes. Ich kann diese Spiele aber nicht mehr erwerben. Ich muss sie mir aus dem Netz ziehen oder den Gebrauchtmarkt abklappern. Verschenktes, vergeudetes Umsatzpotential, weil diese Firmen nicht die Möglichkeiten nutzen wollen, die das Internet als preiswertes Distributionsmedium bietet. Man muss nicht mehr für teuer Geld Datenträger herstellen und verpacken. Man muss diese alten Spiele nur einmalig überarbeiten und dann via Download bereitstellen. Macht man aber nicht. Nicht unbedingt, weil bei den Publishern nur inkompetente Idioten rumlaufen, sondern weil man dort noch zu sehr in den alten Retail-Strukturen der Vergangenheit denkt. Es ist daher kein Wunder, wenn Aussenseiter wie Valve, Stardock und nun CD Project mit Ideen vorpreschen, die so reif zur Umsetzung waren, dass man sich doch fragen muss, ob tatsächlich nur inkompetente Idioten bei den Publishern herumlaufen.

2. Der Computerspielmarkt hat sich in der Vergangenheit vor allem durch seine enorme Kurzlebigkeit ausgezeichnet. Bei Floskeln wie "Graphik vom letzten Jahr" oder "grau-brauner Pixelbrei" wird wohl jeder sofort wissen, was ich damit meine. Es zählte immer nur der neueste Scheiss und der Fokus der Publisher lag daher nicht ganz zu Unrecht nur auf den ersten drei, vier Verkaufswochen. Danach war das Spiel nichts weiter als ein Abschreibungsobjekt. Für den Publisher als auch für den Großteil der Kundschaft. So zumindest stellte sich das Geschehen in der Öffentlichkeit dar. In Wirklichkeit aber ... bildeten sich schnell Zirkel engagierter Fans, die einem Spiel zT. über viele Jahre hinweg die Treue hielten, die neue Missionen schufen, das Spiel mit Patches immer an das jeweils aktuelle Windows-OS anpassten. Emulatoren wie DOSBox oder ScummVM wurden geschaffen, um die alten Klassiker auch mit neuerer Hardware- und OS-Umgebung spielen zu können. Und anstatt ein obskures Bastelprojekt langhaariger Opensource-Anarchisten zu bleiben, erfreuen sich diese Emulatoren derart steigender Beliebtheit, dass sie mittlerweile sogar kommerziell eingesetzt werden. So hat Sierra DOSBox in einer KingsQuest-Compilation verwendet und ID Software benutzt dieses Tool in ihrem auf Steam erhältlichen Back-Katalog älterer Spiele. Auch im Konsolenbereich hat Nintendo mit der Virtual Console auf das anhaltende Interesse der Kundschaft an den alten Spielen reagiert, die sich ihren Fix sonst über Emulatoren und ROMs geholt haben.

Sprich, natürlich macht man immer noch das meiste Geld mit Neuerscheinungen. Und natürlich gibt es immer noch genug Leute, die keine Lust auf "Graphik vom letzten Jahr" haben. Aber warum sollte man das Geschäft mit älteren Spielen dem Gebrauchtmarkt überlassen oder die Leute gleich zu den Tauschbörsen treiben? Warum nicht die Tresore öffnen? Der Vertriebsweg ist mittlerweile kein Problem mehr. Es fehlt oft nur noch der Mut, sich aus dem branchenüblichen Mantra zu lösen, dass Computer/Video-Spiele angeblich keine Vergangenheit, sondern nur eine zu hypende Zukunft und eine abzuschöpfende Gegenwart haben.

Dass man diese angeblich nicht existierende Vergangenheit aber auch vergolden kann, darauf sind bislang nur die wenigsten gekommen.