Freitag, 20. Juni 2008

Ratgeber für panische Publisher

Wie wir alle wissen, sind Metascores, wie sie es zB. bei Metacritic.com gibt, der neue Sklaventreiber der Spielebranche, geben sie dem potentiellen Kunden doch einen schnellen Überblick darüber, was Top und was Flop ist. Royalties und Boni für den Entwickler werden in Abhängigkeit vom erzielten Metascore vertraglich festgelegt. Publisher machen das Wohl und Wehe des geschäftlichen Erfolges gerne am Metascore ihrer Titel fest. Ist der Score hoch, sollen die Leute kaufen, weil das ja ein "gutes" Spiel ist, Ist der Score niedrig, nicht nur der Score in einer (!) Review, sondern in vielen, wird natürlich davon ausgegangen, dass niemand diese Grütze kauft.

Ergo ... sind die Publisher noch sehr viel deutlicher dahinter her, dass der potentielle Umsatzbringer in möglichst vielen Reviews gut abschneidet, um einen hohen Metascore zu erzielen. Übrigens neben all den anderen begleitenden Maßnahmen, wie zB. in Foren Fake-Accounts anlegen, ein Spiel hochhypen und Kritiker niederschreien, wie es seinerzeit beim Skandal um Driv3r publik wurden, als Atari der öffentlichen Meinung ein wenig nachhelfen wollte. Denn in einem Geschäft, dass von Banken und potentiellen Investoren gleichermaßen als "hochriskant" eingestuft wird, möchte der Publisher natürlich jede Chance nutzen, um den wankelmütigen Kaufwillen der Kundschaft zu beeinflussen. Mit allen Mitteln!

Doch mittlerweile klappt das nicht mehr überall so gut. Klowoods Versuche, 4Players und Power Play von ihren jeweiligen Verissen zu Gothic 3 abzubringen. Das Gerstmann-Gate, als ein sturer Journalist lieber den Hut nahm, anstatt seine nicht sonderlich positiv ausfallende Review zu "Kane & Lynch" zurückzuziehen ... und dabei noch fast das halbe Team mitnahm, aus Protest gegenüber der Verlagsleitung von CNET, denen kurzfristige Werbeeinnahmen wichtiger waren als langfristige Leserbindung.

Aktuell ist wieder Atari dran, nicht nur in Deutschland. Ich bitte den geneigten Leser, auf diesen Link zu klicken und sich diese Public Relations-Katastrophe in aller Ruhe zu Gemüte zu führen.

So ... fertig? Gut!

Was ist hier also passiert? Der Reihe nach:

- Publisher setzt große Hoffnungen auf potentiellen Top-Titel
- potentieller Top-Titel entpuppt sich scheinbar als mittelprächtige Gurke
- Publisher versucht den Betreiber von 4Players wirtschaftlich unter Druck zu setzen, als nach einer ebenso nicht berauschenden 4Players-Preview die Werbe-Buchungen zurückgezogen wurden.
- Die Redaktion bekommt freie Hand und gibt in der Review ihrer Meinung Ausdruck: mittelprächtige Gurke!
- Publisher schiebt Panik und schickt die Anwälte vor. Die Review soll mit juristischen Mitteln gestoppt werden.
- Die 4Players-Redaktion antwortet mit einem Klassiker-Zitat von Goethe, welches im Rahmen des Schauspiels "Götz von Berlichingen" Weltruhm erlangt hat.

Was ist hier also passiert? Zwei Dinge.

Erstens, die wirtschaftliche Erpressung im Rahmen der Vorenthaltung von Marketinggeldern funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Scheinbar hat man beim Betreiber von 4Players erkannt, dass "Glaubwürdigkeit" und "Ehrlichkeit" keine hohlen Worte sind, sondern sich tatsächlich in klingende Münze umsetzen lässt, wenn man diese Begriffe nicht nur in den Mund nimmt, sondern sie auch tatsächlich lebt. Die Media-Daten des 4Player-Portals sprechen hier eine deutliche Sprache für denjenigen, der auf diesem Portal Werbung schalten will. Und daher hält man der Redaktion den Rücken frei. So deutliche Worte, wie sie Hr. Luibl, seines Zeichens Chef-Redakteur bei 4Players, im letzten Satz seiner Kolumne geäussert hat, finden sich zumindest in der deutschsprachigen Presse kaum.

Zweitens, es wurde seitens Atari ein massiver Kommunikationsfehler begangen, der die ganze Angelegenheit für Atari nur noch schlimmer macht. Anstatt die schlechte Wertung einfach hinzunehmen und zu hoffen, dass andere, bessere Reviews einen größeren Eindruck in der Öffentlichkeit hinterlassen, startet man eine Aktion, die dummerweise die Augen der Öffentlichkeit auf genau diese Review lenkt, die man doch gelöscht sehen möchte. Es gibt inzwischen einen Begriff für diesen Kommunikationsfehler, der vor allem in Internet fatale Auswirkungen hat: Kollerkommunikation! Je vehementer ich versuche eine bestimmte Information aus dem Netz zu tilgen, desto mehr Leute mache ich auf genau diese Information aufmerksam.

Man erinnere sich vielleicht an dieses brasilianische Photomodell, das ein Video auf Youtube getilgt haben wollte, welches sie beim öffentlichen Bumsen im Meer mit ihrem Freund zeigte. Kaum hatte ein brasilianisches Gericht eine Löschaufforderung ausgesprochen und die Zensurkeule geschwungen, tauchte dieses Video innerhalb von nur wenigen Tagen an so vielen Plätzen, Portalen und Servern weltweit (!) im Netz auf, dass es mit Sicherheit nun JEDER gesehen hatte und es nun erst recht keine Chance gab, dieses Video wieder zu entfernen.

Kollerkommunikation! Zum einen ein, wie ich finde, sehr schönes Wort und zum anderen die Ursache fast aller PR-Debakel in der letzten Zeit, nicht nur im Spielebereich.

Ok, was soll ein Publisher also machen, wenn die Öffentlichkeit bemerkt, dass der Kaiser gar keine neuen Kleider zur Schau trägt, sondern einfach nur sein bleiches Gerippe ins Tageslicht schiebt? Der Publisher kann zB. dafür sorgen, dass der Kaiser TATSÄCHLICH neue Kleider anhat. Sprich, dass der potentielle Super-Hit auch qualitativ etwas vorzuweisen hat. Und falls dies aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, bleibt dem Publisher nur eine einzige Möglichkeit:

Das Fegefeuer schlechter Kritiken stillschweigend zu ertragen, nach Hause humpeln, die Wunden lecken und verfickt nochmal einfach abwarten, bis die Kundschaft vergessen hat, mit welchem Müll man wieder an ihr Geld kommen wollte. Die Halbwertszeit des durchschnittlichen Zocker-Gedächtnisses beträgt doch allenfalls ein paar Monate. Solange könntet ihr doch einfach die Schnauze halten, oder?