Montag, 2. Juni 2008

Erwachsen werden

Seit über 30 Jahren sind Videospiele, Computerspiele, elektronische Spiele Teil unseres Alltages. Früher nur eine typische Beschäftigung für Jugendliche, die zuerst in Spielhallen abhingen, dann später ihre Konsole oder den "Brotkasten" zu Hause stehen hatten. Computerspiele waren in der Wahrnehmung der Öffenttlichkeit und im Selbstverständnis der Branche etwas für Kinder und Jugendliche. Etwas, dass diese Kinder und Jugendlichen selbstverständlich hinter sich lassen, wenn sie älter werden.

Nun, Comics sind seit einer geraumen Weile in der Erwachsenenwelt angekommen. Es gibt dedizierte Comics für ein erwachsenes Lesepublikum, Comics werden in Kunsthallen ausgestellt, Comics sind mittlerweile (hauptsächlich ausserhalb der Grenzen des deutschen Sprachraumes) Teil der öffentlich anerkannten "Kultur" geworden. Und zwar nicht, weil "man" dies eines Tages so beschlossen hat, sondern weil Kinder und Jugendliche im Laufe der Zeit NICHT aufgehört haben Comics zu lesen, sondern dies natürlich und selbstverständlich auch als Erwachsene weiterhin getan haben.

Die selbe Entwicklung, etwa 10-15 Jahre versetzt nach meiner Wahrnehmung, erleben nun Computerspiele. Mittlerweile hat es sich zumindest hier und da herumgesprochen, dass Computerspieler im Durchschnitt keine Kinder mehr sind. Angeblich ist der durchschnittliche Computerspieler etwa 30 Jahre alt. Diesem Fakt kann sich auch das etablierte Feuilleton, die erhabenen Wächter über Kunst und Kultur nicht länger entziehen. Bei Telepolis gibt es hierzu einen sehr interessanten Artikel.

Interessant hierbei auch die Erwähnung, dass die sog. Spielepresse natürlich auch "erwachsen" werden muss. Spielekritik sollte nicht länger in der Wertungshölle der typischen 100%-Skala verharren, sondern wirklich eine Kritik, eine Beschäftigung mit dem Spiel und dem Medium werden, anstatt sich nur auf schlichte Kaufempfehlungen mit Stiftung Warentest-Charme zu beschränken, deren angebliche Objektivität auf Grund etlicher Vorfälle in der Vergangenheit immer öfter angezweifelt wird. Dass die Spielepresse (online wie print) immer mehr zum verlängerten Arm der Marketingabteilungen der Publisher wird, ist ja nichts mehr neues.

Jetzt ist es natürlich ein leichtes, auf die phöse, phöse Presse zu schimpfen. Habe ich früher auch gemacht. Ohne große Gewissenbisse übrigens, weil der aktuelle Zustand nur Schelte verdient hat. Dennoch macht man es sich viel zu einfach, wenn man nur mit dem Finger auf DIE Publisher und DIE Presse zeigt. Die ersteren wollen nur verkaufen. Möglichst viel mit möglichst wenig Aufwand. Die letzteren wollen verständlicherweise nur von ihrem Job leben können, ein Sell-Out ist da naheliegend und durchaus verständlich. Also werden wir auch in Zukunft diese typischen 08/15-Spielereviews zu sehen bekommen, in denen brav alle Features aufgelistet, mit ein, zwei Absätzen besprochen, die negativen Dinge (wenn überhaupt) in einen Nebensatz gepackt und zum Schluß im Fazit ein paar wohlwollende Worte verloren werden, während daneben die übliche, Objektivität vortäuschende Prozent-Wertung prangt. Vielleicht sogar zusätzlich ein "Award", wenn das Spiel besonders "toll" ist.

Nun ist es ja nicht so, dass Journalisten, insbesondere Journalisten im Spielebreich, dumme, inkompetente Vollidioten wären. Zwar gibt es auch dort den üblichen Schnitt an Arschkrampen, doch die Mehrheit wird von Leuten gestellt, die sehr, sehr gerne, wirklich sehr gerne aus diesem seit Jahren etablierten Schema ausbrechen würden. Die gerne reflektierende und interessante Spielekritiken (!) schreiben würden und keine langweiligen, öden, Pseudo-Objektivität vortäuschenden Kaufempfehlungen. Was sie aber nicht dürfen. Nein, nicht weil es ihnen ein Chef-Redakteur oder gar ein immense Anzeigen schaltender Publisher vorschreibt. Sondern weil dies ein Großteil der Leser GENAUSO UND NICHT ANDERS haben möchte.

Immer wieder versucht man bei dieser oder jener Publikation einen Vorstoß, um wenigstens die Prozent-Wertungsskala in den Mülleimer der Geschichte entsorgen zu können. Pustekuchen! Die Mehrheit der Leser fordert vehement eine einfache Übersicht, um sehen zu können, wie "gut" oder "schlecht" ein Spiel ist. Nichts weiter als simple Kaufberatung eines schlichten Konsumproduktes, welches man nach einmaligen Durchspielen schnell wieder vergeßen hat, weil man sich nur ein Jahr später denselben Mist nur in schönerer Verpackung wieder als DAS NEUE DING andrehen lässt. Die Art und Weise, wie hier mit einfachsten Mitteln Hype erzeugt wird, wie hier einfachste Ansprüche befriedigt werden, legt den Schluß nahe, dass ein nicht kleiner Teil der Computerspieler vielleicht körperlich erwachsen geworden ist, in Punkto Computerspiele aber immer noch im Kindergarten steckt.

Es wird immer wieder gefordert, dass man Computerspiele endlich ernst nehmen soll. Dass Computerspiele Teil des Alltags breiter Bevökerungsschichten geworden sind und man sie daher nicht mehr als obskure Randgruppenbeschäftigung ohne Lobby und Einfluß behandeln darf. Das ist alles schön und gut. Dann wird es aber auch so langsam Zeit, dass man selber erwachsen wird.

Zero Punctuation ist zB. eines von vielen Anzeichen, dass dies mittlerweile passiert. Was Ben "Yahtzee" Croshaw hier von sich gibt, das ist nicht einfach nur "Haha, der ist aber lustig!". Das ist Spielekritik frei von all den Zwängen und Restriktionen der heute immer noch üblichen Kaufberatungen. Das ist Spielekritik! Kritik, wie sie in Literatur, Film, Musik und Theater schon lange, lange üblich sind. Nicht nur eine scheuklappige Beschäftigung mit dem Spiel als solchem in einem ansonsten luftleeren Raum, sondern eine reflektierende und die Umgebung einbeziehende Spielekritik.

Und vielleicht, vielleicht bekommen wir dann eines Tages auch eine "erwachsene" Kritik zu Spielen wie "Call of Duty 4", die über die naiv-kindliche Begeisterung angesichts der tollen Explosionen hinaus geht, und sich mit dem Spiel im zeitgeschichtlichen und tagesaktuellen Kontext beschäftigt. Vielleicht erleben wir dann auch den Tag, an dem ein Blitzblendvorgauckel-Spiel, welches nur hübsche Optik zu bieten hat, auch entsprechend nur durchschnittliche Wertungen bekommt. So wie es heute schon bei Blitzblendvorgauckel-Filmen gemacht wird, die ausser schicken Effekten eben nicht viel zu bieten haben. Vielleicht gehören Höchstwertungen für einen Graphikblender wie "Crysis" dann endlich der Vergangenheit an?