Freitag, 9. Mai 2008

Jugendschutz und Altersweisheit

Wie nicht wirklich anders zu erwarten, hat der Bundestag mit den Stimmen der GröKaz (Größte Koalition aller Zeiten) Änderungen zum Jugendschutzgesetz beschlossen, mit denen u.a. größere Kennzeichnungen auf den Verpackungen eingeführt und die Kriterien erweitert werden sollen, nach denen ein Spiel auf Grund von Gewaltdarstellung indiziert werden kann. Zwar müssen diese Gesetzesänderungen noch durch den Bundesrat, aber da man sich mit Jugendschutz wunderbar profilieren kann, ohne einen Tropfen Schweiß vergießen zu müssen, sehe ich hier ein simples Durchwinken. Dagegen war wie üblich die Opposition, die aber nur dagegen war, weil FDP, Grüne und Links-Partei nunmal die Opposition bilden. Wäre man Regierungspartei ... ich denke, ihr habt den Politzirkus ebenso längst durchschaut :)

Sodeli. Hattu feini Gesetzli gemacht, hmmm? Braves Politik, ganz brav! *tätschel*

Welche Auswirkungen werden diese Änderungen für diesen, unseren bundesdeutschen Jugendlichen nun haben? Im Grunde ... gar keine! Hier wurde gestern abend ein typisches Propaganda-Gesetz verabschiedet, welches man uninformierten Wählern wunderbar als tatkräftige Maßnahme verkaufen kann, à la "die tun ja was". Auswirkungen wird dieses Gesetz auf den durchschnittlichen Medienkonsum der Jugend nicht haben.

Auch wenn die Alterkennzeichnungen im DIN A0-Format dick und fett über jedem Regal, auf jeder Packung stehen würde, so wird es immer noch genügend Eltern und ältere Geschwister geben, die das bewusst oder unbewusst ignorieren, weil sie sich entweder darüber keine Gedanken machen, was sie wem kaufen oder sie eben ganz genau wissen, was sie hier wem kaufen. Sprich, bürokratischer Unfug! Abgesehen davon, dass immer mehr Spiele als Download verkauft werden, so dass derartige Kennzeichnungs-Vorschriften natürlich gar nicht greifen können, respektive der digitale Download in dieser Gesetzesvorlage gar nicht berücksichtigt wurde.

Schärfere Indizierungsrichtlinien klingen für das uninformierte Ohr gut. Verbieten ist immer gut! Aber auch nur für das uninformierte Ohr. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte in der Indizierungspraxis und Kindererziehung haben jedoch eines deutlich gezeigt: Verbote machen etwas für Kinder und Jugendliche ausserordentlich attraktiv. Wer sich mit verbotenen Dingen beschäftigt, erlangt in der Gruppe enormes Ansehen und hohen sozialen Status. Und wer weiß, wie sehr sich gerade Kinder über ihren Stellenwert in der Gruppe definieren, der kann über solche Verbote nur den Kopf schütteln. Ferner ist es auch kein Geheimnis, dass Kinder, selbst in Prä-Internetzeiten, mit LEICHTIGKEIT an Dinge kommen, die ihnen Erwachsene vorenthalten wollen. Bezüglich Computerspiele, so haben wir in den 80ern natürlich, selbstverständlich, gar keine Frage, Titel wie "Beachhead" oder den "KZ-Manager" in unsere kleinen, feuchten Finger bekommen und gespielt. Der KZ-Manager war zwar recht schnell ziemlich langweilig (weil sich uns der Reiz des Verbotenen bei diesem Titel nicht so recht erschliessen konnte), aber Beachhead war mit beiden Teilen DER RENNER auf dem Brotkasten. Wir haben damals jedes, aber ausnahmslos jedes Spiel gezockt, welches die damalige BPjS indiziert hat. Ein Gütesiegel par excellence! Als während des Studiums ein "Wolfenstein 3D" nicht nur indiziert, sondern auch verboten wurde, so hat das niemanden gekratzt, weil Disketten schnell und mannigfaltig kopiert und verteilt werden konnten. Jeder hatte Wolfenstein, jeder hatte kurz darauf das ebenso indizierte Doom.

Und heute ist das alles noch einfacher geworden. Der Jugendliche von Welt wirft einfach den Rechner an und lädt sich alles, was das Herz begehrt aus dem Netz herunter. Er braucht nicht einmal mehr Freunde, die frühere Tauschringe zu einem sozialen Ereignis allererster Güte gemacht haben. Er muss sich nicht einmal bei all den schlimmen, ganz arg illegalen Tauschbörsen bedienen, er muss einfach nur zB. einen Free-Account bei Gametap.com einrichten, um hier das in Deutschland auf Grund von Hakenkreuzen und exzessiver Gewaltdarstellung indizierte Bloodrayne 1 spielen zu können.

Dies alles (und noch mehr) lässt sich nicht kontrollieren, überwachen und regulieren. Schon gar nicht innerhalb bundesdeutscher Grenzen und erst Recht nicht international. Da die Alternative zu wirkungslosen Verboten und nutzlosen Kontrollmaßnahmen jedoch in aufwendigen (sprich, teuren) und langfristigen (sprich, deutlich länger als eine Legislaturperiode) Investitionen in Bildung und Erziehungswesen besteht, werden vor allem in Deutschland in den nächsten 10-20 Jahren noch hysterischere und noch wirkungslosere Gesetze verabschiedet, weil ein nicht geringer Teil der Bevölkerung blind und unwissend in die Generationenfalle tappt, dessen Gefangene alles was Jugendliche und Kinder tun, mit allergrößtem Argwohn betrachten und nach Möglichkeit verbieten und kontrollieren wollen, weil sie es in ihrem Denkgefängnis nicht verstehen können/wollen/dürfen.

Wer es jedoch geschafft hat weise zu werden, gleichgültig wie hoch oder niedrig das biologische Alter beträgt, der wird erkennen, wie lächerlich diese ganze Auseinandersetzung im Grunde ist. Sie ist zwar nicht vermeidbar, sie findet seit Jahrtausenden statt, sie ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden, aber man kann mit ein wenig entspanntem Nachdenken eine Menge unnötiger Emotion und Aufregung herausnehmen und vor allem die aktuelle "Killerspiel"-Diskussion als temporären Aufreger der jetzigen Generation betrachten, der in einigen Jahren vom nächsten Hysterienanfall abgelöst wird, welcher dann als Feigenblatt für ungelöste gesellschaftliche Probleme herhalten muss.

Kinder werden nicht zu schlechten Erwachsenen durch Jazz aka Negermusik, durch Comics, durch Elvis Presley, Groschenromane oder Computerspiele. Kinder werden zu schlechten Erwachsenen, wenn man ihnen in ihrer Jugend klar zu verstehen gibt, dass sie eh nichts taugen, nichts werden können, sowieso keine Chance haben. Und die Weisheit, dies zu erkennen und entsprechend zu handeln, diese Weisheit geht uns, als den sog. tollen Erwachsenen so oft ab, dass man sich durchaus die Frage stellen muss, ob wir überhaupt die verantwortungsvollen Erwachsenen sind, als die wir uns gerne hinstellen, wenn wir über "Jugendschutz" reden.

Ich habe da so meine Zweifel ...