Was hat's gebracht?
Wie bereits erwähnt, tummeln sich hier mittlerweile acht Gigabyte DOS-Spiele. Gestern abend habe ich mich inmitten dieses Wustes begeben und nach anderen Jump&Run-Spielen Ausschau gehalten. Weil mich Monster Bash auf den Geschmack gebracht hat. Weil ich wieder den Pogostick auspacken, mit Mylo auf Kristallsuche und Cosmo endlich seine Eltern finden lassen wollte. Weil diese Spiele seinerzeit mein Ein und Alles waren. Oh, wie habe ich sie geliebt!
Im Grunde liebe ich sie heute noch. Die klassischen 2D-Jump&Runs. Die Von-Rechts-nach-Links- und Von-Oben-nach-Unten-Scroller. Doch mit der Einführung von 3D-Perpektiven (wohlgemerkt, NICHT 3D-Graphik, nur die 3D-Perspektive) war es schlagartig vorbei mit der großen Liebe. Pixelgenaues Abspringen und präzise Navigation durch gefährliche Hindernisse waren nicht mehr möglich, obwohl sie natürlich seitens der Entwickler immer noch gefordert wurden. Das Handling der Kameraposition, eines DER Hauptübel heutiger 3D-Spiele, ist immer noch nicht vernünftig gelöst worden. Immer noch muss ich zu oft auf Verdacht ins Nichts springen oder diverse Hilfen in Anspruch nehmen, die meine Figur automatisch in bestimmten Bereichen des Levels eine Aktion auslösen lässt. Weil ich in 3D eben nicht präszise genug steuern kann. Weil ich ja diese 3D-Umgebung nur auf einem 2D-Bildschirm betrachte! Dat kann so nit funktionieren!
Doch ich möchte hier nicht den Alten Sack geben und nur rumnölen, dass heute alles schlechter ist und früher alles besser war. Was natürlich im Grunde dummes Geschwätz ist. Nein, ich frage mich stattdessen, wo und wie hat der Sprung von 2D-Graphik zu 3D-Graphik WIRKLICH etwas gebracht. Wo sind Dinge verbessert worden, wo wurde nur optische Makulatur betrieben, wo stellt 3D einen Rückschritt dar?
- Positiv:
Das Action-Genre zählt wohl zweifelsfrei zu DEN Gewinnern dieses Wechsels. Ein gänzlich neues Subgenre, die Ego-Shooter, ist daraus entstanden. Tomb Raider wäre in 2D NIEMALS zu diesem Erfolg geworden. Ein Actionspiel in 2D findet sich heute fast nur noch in japanischen Arcadehallen und der eifrigen Shmup-Indie-Szene. Als ein weiterer Gewinner erscheint mir der große Bereich der Rennspiele. Ob nun "ernsthafte" Rennsimulation oder reiner Arcade-Racer, Indianapolis 500 oder 4D Sports Driving, 3D wurde sehr schnell Standard in diesem Genre. Nach Indy 500 hatte ich zB. absolut keinen Bock mehr auf Top-Down-Ansichten oder "Super Mario Kart"-Klone. Bei diesen beiden Genres bedarf es meiner Meinung nach keiner großen Diskussion. Der Wechsel von 2D zu 3D hat im Grunde nur Vorteile gebracht. Nicht nur optisch, auch das Gameplay wurde erweitert und verbessert. Den größten Gewinn erzielen diese Spiele aber durch die erhöhte Immersion des Spielers.
- Neutral:
Kommen wir nun zu den Genres, die nur aus "Zeitgeist"-Gründen mittlerweile in 3D releast werden. Weil der Kunde nunmal 3D verlangt. Auch wenn es keinen spielerischen Sinn macht und/oder atmosphärisch ohne Belang ist und/oder die optische Verbesserung nur einen Wechsel der Perspektive bedeutet. Die Rede ist von Rollenspielen und Strategie-Spielen (rundenbasiert oder Echtzeit). Ganz ehrlich, mir fällt selbst bei längerem Nachdenken kein trifftiger Grund ein, warum bei diesen Titeln 3D "besser" sein soll, was ein 3D-Vertreter "besser" kann, als ein 2D-Vertreter.
Ein Gothic 3 oder Oblivion frisst nur immense Prozessorpower, ohne jedoch den unglaublichen Detailgrad einer vorgerenderten Spielwelt eines Baldurs Gate zu erreichen. Ein Action-RPG wie zB. Diablo oder Divine Divinity würde, um einen vergleichbaren Detailgrad bei entsprechend flüssiger Darstellung in 3D zu ermöglichen, Hardware benötigen, die fast nicht zu bezahlen ist. Sprich, 3D ist bei vergleichbarer Rechenleistung "hässlicher". Ebenso bemängeln nicht wenige alte Strategie-Hasen immer wieder die detailarmen Modelle heutiger RTS-Spiele. Auch hier würde man wesentlich mehr Rechenleistung für einen 2D-Spielen entsprechenden Detailgrad benötigen. Auch spielerisch macht 3D bei RPGs und Strategie-Titeln kaum Sinn. Ob rundenbasierter Kampf, ob Echtzeitgeklicke, ob Nachschublinien, Geländeeinflüsse oder komplexe Zauberformeln ... wozu brauche ich nochmal 3D? Einen positiven Einfluss hat 3D allenfalls auf die Immersion des Spielers. Es wirkt natürlich stimmiger, wenn ich direkt auf Bodennähe heranzoome und meinen Einheiten direkt beiwohne, wenn sie im Feindfeuer vergehen. Auch ist der Blick von einer Anhöhe in Oblivion ins Tal hinab, wenn im Hintergrund gerade die Sonne untergeht ein herrlicher Anblick. Keine Frage. Aber genau diesselbe überzeugende Immersion und Stimmung und Atmosphäre kann ich auch mit 2D-Technologie erzeugen. Nein, nicht den gleichen Anblick. Aber die gleiche Stimmung! 3D ist hier wirklich nur eine Frage des Zeitgeistes. Weil der Kunde 3D erwartet.
- Negativ:
Plattformer habe ich schon angeführt. Alleine die immer noch ungelöste Kameraproblematik ist ein ganz großes Manko. Ebenso zu den "Verlierern"zähle ich Adventure-Spiele. Ja, Grim Fandango ist ein großartiges Spiel! Doch die Steuerung hat viele, viele Leute in den Wahnsinn getrieben und unnötig verschreckt! Oder alles, was nach dem zweiten "Broken Sword" aka Baphomets Fluch kam ... schrecklich öde Kistenschieberätsel und dumpfe Reaktionsspielchen, die man sich aus dem Actiongenre ausgeborgt hat. Der ganze Niedergang des Adventuregenres beruht in erster Linie darauf, dass sich alle Welt plötzlich auf 3D gestürzt hat und solche Schoten wie "Indiana Jones and the Infernal Machine" produziert wurden. Abschreckend für Adventure-Fans und vollkommen uninteressant für Action-Spieler. Das Adventure-Genre erlebt erst jetzt so allmählich eine kleine Rennaissance, weil man sich darauf beschränkt 3D allenfalls zur optischen Aufwertung zu verwenden, das etablierte Gameplay aber nicht anzurühren.
Zum Brawler-Genre kann ich leider nicht viel sagen. Wie verhalten sich den aktuelle Titel wie Devil May Cry oder Tekken 6 gegenüber Klassikern wie Street Fighter? Besser geworden? Oder gab es nur einen schöneren Anstrich?
Tja, was hat's gebracht? Ist 3D ein Fortschritt? Das muss, so denke ich, wohl jeder mit seinem persönlichen Geschmack ausmachen. Es gibt Fälle, da ist 3D toll, so richtig ehrlich toll. In anderen Fällen werde eher ich tollwütig. Aber wie man am Erfolg von Handhelds wie dem DS sieht, ist 3D mit Sicherheit NICHT der Weisheit letzter Schluss. Hier tummeln sich 2D-Spiele friedlich neben den 3D-Vertretern und jeder findet seine Lieblinge.
Es muss nicht immer ums Verrecken 3D sein!
Nachtrag:
Bei Rollenspielen muss ich mich nachträglich korrigieren. Wenn man, wie zB. bei Ultima Underworld oder System Shock und Nachfolgern (welche ich ganz dreist einfach als RPG bezeichne) die 3D-Umgebung nicht nur als Postkarten-Hintergrund benutzt, sondern sie als aktiven Part ins Gameplay integriere, dann ist 3D selbstverständlich eine ganz klare Verbesserung und ein Fortschritt! Gothic oder Morrowind oder NWN ... könnte ich ebenso gut in 2D darstellen, ohne Abstriche im Gameplay machen zu müssen.