Montag, 23. Juli 2007

Die Sucht namens Civilization

Wie an diversen Postings unschwer zu erkennen ist, gehöre ich zu den Anonymen Civilization-Süchtigen. Civilization gehört zu meinem Zockerdasein, wie die Luft und Liebe zum Leben. Es geht nicht ohne. Seit 1991 bin ich diesem Spiel verfallen.

Warum jedoch? Es gab nie einen nennenswerten Civilization-Hype. Civilization hat keine Trends gesetzt. Es ist rundenbasiert und somit ein klassischer Atavismus in Zeiten flotter RTS-Action. Seine optische Darstellung ist bestenfalls mittelprächtig-unauffällig zu nennen. Sein Gameplay hat eine sehr steile Lernkurve, Neulingen wird der Einstieg alles andere als leicht gemacht. Civilization hat also alle Eigenschaften, die ein Spiel heute NICHT haben sollte, wenn es kommerziell erfolgreich sein soll. Es ist zudem alles andere als perfekt. Es gibt genügend Dinge, über die ich mich jedes mal aufrege, wenn es ein neues Civ-Spiel gibt und gewisse Eigenarten wohl als "No, it's not a bug. It's a feature!" auf immerdar beibehalten werden.

Wer will das also? Nur alte Säcke, die sich verzweifelt an die Spiele ihrer Jugend klammern? Warum will ich das?

Eine Vielzahl von Gründen macht Civilization zu einem runden Paket, zu einem attraktiven Spielerlebnis. Ich möchte hier ein paar der wichtigsten Gründe aufführen.

- Vielseitigkeit:
Ich kann mir eine Partie fast vollständig nach meinen eigenen Vorstellungen zusammenstellen. Ich kann es so schwer und so leicht, so banal und so ausgefallen gestalten, wie mir das behagt. Je nach Tagesform und Laune stelle ich mir ein Spiel zusammen, in dem ich entweder in Windeseile den Globus auf der linken Arschbacke erobere oder mich stundenlang mit einem Gegner um zwei Städte prügele.

Ich kann die Spielweltgröße einstellen.
Ich kann das Aussehen der Spielwelt beeinflussen.
Ich kann einstellen, gegen wieviele Gegner ich antreten möchte und welcher Art die Gegner sind (KI oder Mensch).
Ich kann aus verschiedene Zivilisationen mit verschiedenen Fähigkeiten wählen.
Ich kann mir ein eigenes Regelset zusammenstellen.
Ich kann aus min. einem halben Dutzend deutlich unterscheidbarer Schwierigkeitslevel auswählen.

Wenn schon Sandkasten-Gameplay, dann bitte so.

- prozedurales Spielfeld:
Dank der zufällig generierten Landkarte bei selbst identischen Voreinstellungen gleicht kein Spiel, keine Partie der anderen. Es gibt keine festen Strategien. Unterschiedliche Startgebiete erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen. Der Wiederspielwert von Civilization schlägt jedes andere Spiel um Lichtjahre! Weil ich eben jedesmal ein neues Spiel vor mir habe.

- Evolution, Veränderung, Wandel, Aufstieg:
Wenn ich bei Civilization so durch die Jahrhunderte und Jahrtausende eile, kann ich wunderbar mitansehen, wie mein kleines Reich wächst. Aus einer ersten Siedlung, aus der sich vorsichtig die ersten Späher und Jäger ins Unbekannte herauswagen, wird im Laufe der Stunden ein (hoffentlich) mächtiges Reich mit im Sonnenlicht glitzernden Städten, mit Armeen, unter deren Marschtritt Barbaren wie Nachbarreiche sich furchtsam ducken. Plötzlich überziehen Eisenbahngleise die Landschaft, Flugzeuge ziehen ihre Kreise am Himmel und das Geräusch marschierender Stiefel wird vom Rattern der Panzerketten abgelöst. Und ich bin nicht nur Zeuge dieses Wandels. Ich bin der Hauptverantwortliche für diesen Wandel. Das ist MEIN Reich. Das Gefühl etwas erschaffen und erreicht zu haben, ist bei den Civilization-Spielen so groß und stark, wie bei keinem anderen Genre. Ein Adventure kann ich nur lösen, ein Action-Spiel nur besiegen, in einem Rollenspiel "nur" meinen Charakter aufbauen. Bei Civilization hingegen liegt mir die ganze Welt zu Füßen!

- Rundenbasiertes Gameplay:
Ok, das hier ist jetzt nur eine persönliche Preferenz. Civilization könnte im Grunde auch mit RTS-Mechanismen funktionieren. Ich mag aber das Rundenprinzip, weil ich mir dabei Zeit lassen kann. Ich fühle mich nicht unter Druck gesetzt. Das Gefühl, dass ich und nur ich alleine das Spiel kontrolliere (obwohl, nachts um halb vier und nach sechs Stunden Spielzeit kontrolliert
das Spiel ganz klar mich) kann sich bei einem RTS-Gameplay wohl nicht so stark einstellen.

Ich könnte sicher noch einige andere zusätzliche Gründe aufführen (unterschiedliche Siegbedingungen, unterschiedliche Siegstrategien, ...) doch es sollte bereits jetzt schon klar sein:

Civilization ist deswegen so einzigartig, weil es mir als Spieler einfach soviele verschiedene Spielelemente zur Verfügung stellt. Civilization ist wie Lego! Aus einfachen Grundelementen kann man mittels nahezu unbeschränkter Kombinationsmöglichkeiten seinen eigenen Vorstellungen freien Lauf lassen. Ich folge nicht strikt den Vorgaben eines Leveldesigners, werde nicht in das Handlungsmuster eines bereits fertigen Filmes gezwungen, bekomme nicht etwas nach dem Prinzip "Friss oder stirb" vorgesetzt. Ich bin kein bloßer Skriptklick-Sklave. Ich spiele (!) mit (!) Civilization.

Andere Spiele oder Genres sind natürlich auch unterhaltsam, gar keine Frage. Aber nur selten bis nie mache ich mit ihnen die Nacht zum Tage und ruiniere mir wohl langfristig die Gesundheit. Das schafft seit 1991 nur Civilization.

God bless you, Sid Meier!