Apocalypse Now and Forever
Man verzeihe mir bitte den aktuellen, tagespolitischen Einschub, aber ich möchte nur ein wenig etwas loswerden ...
Ich habe mir am Wochenende zum wiederholten Male "Apocalypse Now", Francis Ford Coppolas Meisterwerk, in der Redux-Version angesehen. Ein großartiger Film. Noch vor wenigen Jahren hätte ich gesagt, ein großartiger historischer Film. Denn der Vietnam-Krieg ist Geschichte. US-Touristen, namentlich ehem. GIs, fliegen im Urlaub mit Frau und (erwachsenen) Kindern gen Indochina, um dort ihre Kriegserlebnisse aufzuarbeiten. Mittlerweile die normalste Sache der Welt.
Doch, wie immer, wir lernen nichts aus der Geschichte.
Als ich mir "Apocalypse Now" das erste Mal angesehen hatte, da war Marlon Brando in der Rolle des Colonel Kurtz ein durchgeknallter Irrer, der auf Grund seiner Kriegserlebnisse "ein wenig" den Bezug zur Realität verloren hatte. Martin Sheen als Captain Willard war zwar nicht weniger durch den Wind, schien aber trotzdem noch zumindest einen Rest Menschsein für sich gerettet zu haben. Doch mit jedem erneuten Anschauen, vor allem im Rahmen der Redux-Version, erkannte ich immer mehr, dass Colonel Kurtz der einzige Mensch im gesamten Film war, der mit beiden Füßen in der Wirklichkeit verankert war und nur deswegen Fahnenflucht begangen hatte, weil sich seine Vorgesetzten weigerten die Wirklichkeit anzuerkennen. Die Wirklichkeit des Krieges, die Wirklichkeit eines zu allem entschlossenen Vietcong, die Wirklichkeit der Erkenntnis, dass der Krieg nur dann militärisch gewonnen werden kann, wenn man mindestens genauso entschlossen und brutal und grausam ist wie der Gegner, den man bekämpft.
Ich habe während des ganzen Filmes gestern nur daran denken müssen, wie deutsche Politiker um die Tatsache herumeiern, dass sich die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg befindet. Dass dies KEINE spassige, locker-lässige Brunnenbohr- Mädchenschuleaufbau-, Demokratiebring-Mission ist. Dort herrscht Krieg. Dort herrscht seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten Krieg. Die Briten haben sich eine blutige Nase geholt, obwohl man dort mit allem gebotenen Ernst der Lage und konsequent das Empire vergrößern wollte. Die Russen haben sich eine blutige Nase geholt, weil sie in letzter Konsequenz doch nicht die Truppenmengen in Bewegung gesetzt haben, die notwendig wären, um jedes verfickte Tal mit Rotarmisten zu überfluten. Und die NATO wird sich eine blutige Nase holen, weil man auch hier nicht in letzter Konsequenz militärisch vorgehen möchte.
Derzeit sind etwas mehr 55.000 ISAF-Soldaten in Afghanistan stationiert. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Internationale Hilfsgelder für das vielgerühmte "Nation Building" fliessen spärlich und aktuell erfährt man, dass der Aufbau einer afghanischen Polizei und entsprechenden Infrastruktur deswegen stockt, weil man zu wenig Ausbilder findet, die sich freiwillig in diesen Hexenkessel begeben wollen. Und angesichts der Riesensummen, mit denen der Westen seine Banken und das Finanzsystem stützt, ist bereits jetzt schon abzusehen, dass es in Zukunft wohl nicht sonderlich mehr Geld und Unterstützung geben wird. Angesichts des Umstandes, dass sich im Krieg Tote unter der Zivielbevölkerung nicht vermeiden lassen, es ist ja KRIEG und keine begrenzte, lokale Polizeiaktion, wird sich die ISAF auch weiterhin keine großartigen Freunde in der Bevölkerung machen. Angesichts des Umstandes, dass der Westen die Demokratie in Afghanistan mit Hilfe korrupter Auslandsafghanen und zwielichtiger Lokalpolitiker aufbauen möchte, bei der kürzlich stattgefundenen Wahl Vorwürfe der Wahlfälschung und Manipulation immer noch ungeklärt im Raum hängen, wird man sich in der afghanischen Zivilbevölkerung auch hier keine großen Freunde machen.
Entweder der Westen macht den Col. Kurtz und schickt 3-4 Millionen Soldaten nach Afghanistan, um neben den Taliban auch zig Stammes-Milizen und schnöde Banditen in den Staub zu treten. Und dann konsequenterweise nicht an der pakistanischen Grenze anhalten, sondern gleich nach Islamabad weitermarschieren, um die Ausbildungslager im Grenzgebiet dem Erdboden gleich zu machen. Und wenn man schon dabei ist, die Kernwaffen der pakistanischen Militärs unter Beschlag nehmen. Gleichzeitig muss man erhebliche Verluste unter der Zivilbevölkerung einkalkulieren, was wiederum Fanatiker und selbsternannte afghanische Freiheitskämpfer in Scharen in neue Ausbildungslager im Kaukasus treiben wird, von Leuten, die sich im Westen deswegen zu Anschlägen berufen fühlen, ganz zu schweigen. ZUSÄTZLICH müsste der Westen aber auch Billiarden Dollar in den Aufbau ziviler Strukturen stecken, damit das vielgerühmte "Nation Building" nicht nur ein potemkinsches Dorf ist, mit dem man die Wähler zu Hause bei Laune hält. Auch müsste der Westen die Tatsache akzeptieren, dass man über ein Land, in dem in den Städten das 21. Jahrhundert und in den Bergen das 15. Jahrhundert existiert, mit all seinen Volksgruppen und Sprachen und Ethnien und Stammesgemeinschaften, nicht einfach per Dekret eine Demokratie nach westlichem Muster stülpen kann. Man sollte endlich die afghanische Wirklichkeit akzeptieren, damit Leute wie Col. Kurtz nur auf der Leinwand die Doppelmoral des Westen anklagen können.
Aber nein ... man eiert in Afghanistan herum, weil man glaubt auf Grund von Bündnisverpflichtungen nicht anders zu können. Man eiert dort herum, weil die Politik in der Heimat nicht den Aufwand verkaufen kann, der notwendig wäre, um dieses hahnebüchende Abenteuer zumindest in die Nähe eines Erfolges zu rücken. Man eiert herum, weil man der Wirklichkeit nichts ins Gesicht blicken kann. Entweder, Du machst den Col. Kurtz, zieh es konsequent und hart durch oder verpiss Dich, weil Du dort nichts verloren hast!
Und wenn es darum geht, Einfluss darüber zu haben, wer bestimmte Gas- und Ölpipelineabschnitte kontrolliert, wartet man einfach ab, bis sich die Leute dort genügend SELBER, ohne fremde Hilfe, den Schädel eingeschlagen haben und bietet dann den Siegern ein gutes Geschäft an. Denn auch der strenge Islamist möchte gut leben und vor allem endlich in Ruhe gelassen werden.
Aber nee, die Geschichte wiederholt sich ... weil wir zu dumm sind, aus ihr zu lernen!
/rant off ...