Mittwoch, 21. Januar 2009

Die Krise von Heute ist die Chance von Morgen

Neinnein, keine Sorge. Das hier wird keine wirtschafts- oder finanztheoretische Abhandlung über die derzeitigen Turbulenzen in der Weltwirtschaft, es wird auch kein sozialpolitisches oder gesellschaftliches Traktat. Zumindest größtenteils nicht.

Anlass für den heutigen Sermon ist folgende Meldung, die ich die Ehre hatte eben auf 4Players lesen zu dürfen.

Zusammenfassend: ein Entwickler hat ein überzeugendes Konzept, hat schon entsprechend positive Rückmeldungen bekommen (ist sich also sicher, nicht nur den eigenen Wahnvorstellungen aufzusitzen), scheitert aber letzendlich daran, dass die Marketingabteilungen der jeweiligen Publisher keine Marktchancen für das Genre auf der vom Entwickler gewählten Plattform sehen. Im konkreten Falle heißt das, dass man trotz der immens großen Verbreitung der Wii selbige Konsole nur als Spieleplattform für Kinder sieht und zahlende Kundschaft folglich nur in Form der Eltern dieser Kinder vorhanden ist. Ausgehend von dieser Prämisse ist es seitens der Publisher logisch, dass man kein Survival Horror-Spiel auf der Wii veröffentlicht. Dezente Hinweise auf den nicht unerheblichen kommerziellen Erfolg der beiden letzten ResidentEvil-Titel werden mit entsprechenden Gegenhinweisen gekontert, dass RE eine etablierte Marke sei und sich nur deswegen so gut verkauft.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich kann die Publisher teilweise verstehen. Ich heiße ein derartiges Verhalten nicht gut, aber ich kann es teilweise verstehen. Wer heute Spiele im Retail-Bereich vertreibt, der muss angesichts der gestiegenen Produktionskosten einen nicht gerade kleinen Mindestumsatz erzielen, um wenigstens auf eine schwarze Null zu kommen. Angesichts des Umstandes, dass 8 von 10 veröffentlichen Spielen in den Bilanzen als tiefrote Zahl auftauchen, ist die Paranoia, die Publisher vor Nischenspielen oder gar innovativen Spielen haben, nachvollziehbar. Wer dies als Entwickler nicht berücksichtigt, ist fast schon selber Schuld, wenn er mit ungewöhnlichen oder einfach nur nicht-massentauglichen Konzepten bei den Publishern hausieren geht und sich eine Absage nach der anderen einholt.

Man könnte natürlich, und mit gutem Recht, einwenden, dass man eine Konsole, die bezüglich ihrer weltweiten Gesamtverkäufe den bisherigen Spitzenreiter, die PS2 mit 22 Mio., mit 24 Mio. Stück nach gerademal zwei Jahren auf der linken Arschbacke überholt hat, nicht nur auf Kinder-Software beschränken sollte, ja, diese Strategie sogar leichtsinnig und gefährlich sei, da sie weitere Umsatzzuwächse mit der Hilfe "erwachsener" Wii-Nutzer dauerhaft verbaut, aber momentan herrscht in der Industrie dieses Denken nunmal vor. Kann man als kleiner Entwickler nix machen, oder?

Doch, kann man.

Derzeit tobt in Cannes die alljährliche Midem, die weltweit führende Musikmesse. Auf dieser Messe tummeln sich, sehr zum Ärger der Major Labels, eine Reihe von Anbietern und Künstlern, die dort eine Idee propagieren, mit der eine Band, ein Künstler keinen Plattenvertrag und folglich auch kein Label mehr benötigt. Fans finanzieren die Produktion eines Albums, Fans werden direkt involviert und Künstler und unterstützende Fans können sich sogar die Einnahmen teilen. Da die Gewinnspanne einer solchen Produktionsweise weit, WEIT über dem liegen würde, was eine Band normalerweise bekommt, wenn sie einen herkömmmlichen Plattvertrag abschliesst, muss die Band auch nicht 100.000 Alben verkaufen, um von ihrer Musik leben zu können, sondern sie benötigt vielleicht nur 50.000 oder nur 10.000 verkaufte Alben. Was schlichtweg bedeutet, dass man bei der Produktion keine Kompromiße eingehen muss, man sich nicht nach einem wie auch immer gearteten Massengeschmack richten muss, sondern die eigene, künstlerische Vision umsetzen kann. Im Idealfall kann es einem wie Aimee Mann passieren, die zwar nur einen Bruchteil der Plattenverkäufe einer Madonna hat, die aber auf Grund ihrer Unabhängigkeit von einer Plattenfirma (sie hat schlichtweg ihre eigene gegründet) mit jedem verkauften Album so sehr viel mehr Gewinn erzielt, dass man sie heute zu den wohlhabensten Entertainerinnen der USA zählt.

Ich stelle mir angesichts solcher Entwicklungen nur vor, welche Chancen ein Entwickler haben könnte, der, angefressen von der Dummheit und/oder Gier der Publisher, direkt auf die Fans zugeht, mit Spenden die Fertigstellung des Spieles finanziert und das Spiel danach SELBST verkauft.

Man könnte jetzt einwenden, dass die Produktion eines Albums ein wenig günstiger sei als die Produktion eines hochwertigen AAA-Titels wie zB. Mirrors Edge. Richtig, dem ist auch so. Man darf daher nicht erwarten, dass Fans die Produktion eines Graphik-Feuerwerks wie zB. Crysis oder Final Fantasy 13 stemmen könnten. Von Crysis wird zB. berichtet, dass man etwas mehr als 20 Mio. Dollar für den unperformantesten Spaghetti-Code seit Erfindung des Spaghetti-Codes verbraten hat.

Aber man könnte auf diese Weise kleinere Spiele auf die Beine stellen. Sich allmählich nach vorne tasten. Mit jedem Spiel mehr Fans finden. Mit jedem neuen Spiel die Latte allmählich höher heben. Bis ein Major Publisher oder ein anderer Geldgeber aufmerksam wird. Oder auch nicht. Die beiden Jungs von "Dwarf Fortress" sind zb. vollauf damit zufrieden dieses Spiel hauptberuflich zu optimieren und weiterzuentwickeln, weil es genügend Leute gibt, die ihnen über den Paypal-Button auf ihrer Webseite Geld zukommen lassen. Denn sie müssen ja nicht umsatzmäßig mit einem Call of Duty, Guitar Hero oder Sims konkurrieren. Sie haben ihre Nische gefunden und fühlen sich dort pudelwohl.

Ich bin mir sicher, sehr sicher sogar, dass wir derart finanzierte Spiele in Zukunft öfters sehen werden. Die Chancen für kleine Entwickler, abseits des von den Majors beherrschten Mainstreams sind immens. Frei, und daher NICHT im Sinne, eines Herr Schüttelbiers: "An undiscovered country!"

Wolltet ihr nicht eines Tages "Follower" eines bestimmten Studios sein? Euer Bild in einem Spiel wiederfinden? Ein Modell nach Eurem Aussehen? Eure Stimme in Dialogen? Eure Nennung in den Credits? Vielleicht sogar ein Leveldesign oder eine Mission oder ein eigenes Modell oder Textur von Euch? Sagen zu können, dass dies auch "Euer" Spiel ist?

Warum nicht ...

Immerhin besser als mitanzuzusehen, wie die Majors als Gefangene ihrer eigenen Vertriebsstrukturen, eine uninspirierte Scheisse nach der anderen abliefern müssen, während frische und neue und spassige Ideen in der Schublade verschwinden, weil ihnen niemand eine Chance gibt.