Montag, 17. Dezember 2007

Wer soll das alles spielen?

Letzte Woche, so kurz vor Toresschluss, in den lokalen Gamestop reingeschneit. Ratlos vor der massiven Wand an Gebraucht- und neuwertigen Spielen stehend. Die Frage eines Angestellten, ob man mir helfen könnte, beantwortete ich mit einem kryptischen, gedankenversunkenen: "Ja, wenn Sie wissen, wo ich die übrigen 10% finde?".

Gerade zu einer erklärenden Antwort ansetzend, um dem aller Wahrscheinlichkeit nach verdattert aus der Wäsche schauenden Verkäufer Sturgeon's Law nahezubringen, hörte ich aber ein dezentes Seufzen und ein resignierendes: "Ja, da haben Sie nicht ganz unrecht. Es fällt selbst mir nicht gerade leicht, aus der Masse der Erscheinungen dem Kunden die Titel herauszusuchen, die man ruhigen Gewissens empfehlen kann."

Die nächsten paar Minuten unterhielt ich mich angeregt mit dem guten Mann über das Wohl und Wehe des Einzelhandels im Allgemeinen, wie der Spielebranche im Besonderen. Zwar waren wir uns darüber einig, dass Computerspiele noch lange nicht am Zenit ihrer Verbreitung in der Gesellschaft angekommen sind, aber auch er fragte sich ... wer denn zur Hölle all den Kram spielen soll, der da Monat um Monat released wird?

Und wer das denn alles kaufen soll?

Es ist ja nicht so, dass Spiele nach sechs Monaten vollständig verschwinden und durch neue ersetzt werden. Ein Großteil des Umsatzes von Gamestop-Filialen wird mittlerweile mit Gebrauchtsoftware gemacht. Bei anderen, speziellen Software-Handelsketten verhält es sich genauso. Die Marge für Neuware sinkt ebenfalls Jahr um Jahr, so dass Consumer-Märkte wie der Blödmarkt neue Spiele fast nur noch als Marketinginstrument benutzen, um die Leute in die Läden zu locken. Großartig verdienen kann man an Neuware nichts mehr. Ich kenne auch Leute, die haben sich letztes Mal Spiele NEU und FRISCH vor vielen, vielen Jahren gekauft. eBay ist eine wesentlich stärkere Bedrohung für den Umsatz der Publisher, als es alle gewerblichen Raubkopierer der ganzen Welt zusammen sein können. Ich selber gebe fast nur noch Geld für gebrauchte Spiele aus und besorge mir hier Titel, die aus den Regalen des Einzelhandel schon lange verschwunden sind, so die denn überhaupt den Weg in die Regale gefunden haben.

Auch haben Spiele kein Verfallsdatum, so dass der Kunde alte Spiele immer wieder auspackt und nochmal spielt. Ich muss nicht alle zwei Wochen neue Spiele kaufen, weil die alten CDs verdunstet oder verschimmelt sind. Emulatoren ermöglichen mir eine bequeme und komfortable Zeitreise in die Vergangenheit, selbst wenn gar nicht mehr die Hardware habe, um diese Spiele zocken zu können. Sprich, es gibt jedes Jahr immer MEHR Spiele, die dank ihrer digitalen Natur nicht schlecht werden können.

Und weil das Geschäft trotz allen Unkenrufen dennoch blüht und blüht und Jahr um Jahr steigende Umsätze verzeichnet, werden wir mit Sicherheit mit noch mehr Titeln zugeballert. Denn was letztes Jahr geklappt hat, muss auch nächtes Jahr klappen. Und um mehr Geld als letztes Jahr verdienen zu können, müssen wir einfach NOCH MEHR Spiele veröffentlichen. Bis zu dem Moment, an dem der Markt gesättigt ist und ein MEHR nur noch mit massiven Marketingaufwand möglich ist, der natürlich wieder den Gewinn schmälert. Ich glaube ja nicht, dass Microsoft mit Halo 3 so sonderlich viel mehr Geld verdient hat. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass das letzte Quartal der Entertainment-Sparte von MS nur deswegen so gut aussah, weil man den Werbeaufwand anderweitig versteckt und rausgerechnet hat.

Wirklich, wer bitte soll das alles spielen?

Bzw. sollte die Frage nicht lauten, wann ist der Schwellwert erreicht, an dem die Entwicklungskosten für neue Spiele in keinem Verhältnis mehr zur potentiellen Zielgruppe stehen? Diesen Herbst hatte der Shooter-Fan die Qual der Wahl. CoD 4, Crysis, Gears of War-PC, Halo 3, UT 3 und noch min. ein Dutzend anderer Shooter buhlten um die Gunst des Käufers. Was wird gekauft? Nur ein Bruchteil des Angebotes! Der Rest floppt und bei Vorstellung der Zahlen für das Weihnachtsgeschäft 2007 werden wir mit Sicherheit die eine oder andere altbekannte "Raubkopierer"-Ausrede hören.

Vielleicht sollten sich die Publisher Rat bei aktuellen Untersuchungen zum Konsumverhalten holen. Der Kunde freut sich vielleicht, wenn er aus 10 verschiedenen Klopapiersorten auswählen kann. Er wird dennoch nicht MEHR Klopapier kaufen, nur weil die Auswahl größer ist. Ich kann mir nur einmal den Arsch abwischen. Ich kann auch nicht drei Spiele gleichzeitig zocken. Der Tag hat eben nur 24 Stunden.

Wer soll das alles spielen? Heisst ja nicht jeder "Ethan" :)