Sonntag, 30. Dezember 2007

Rise of the Video Game

Vor ein paar Tagen lief die letzte Folge eines Fünfteilers auf dem Discovery Channel mit dem Titel "Rise of the Videogame", der den Aufstieg des Computerspieles von der Freizeitbeschäftigung einiger weniger Elekronik-Nerds zu einem weltweiten Kulturphänomen behandelt. Dank der Errungenschaften moderner P2P-Technologie konnte aber auch ich fernsehloser Asket und Nicht-US-Bürger diese Serie anschauen.

Und? Wie isses? Taugts was? Lohnt es sich dafür den Bittorrent- oder ed2k-Client der Wahl anzuwerfen?

Ja! Auch wenn die Machart dieser Dokumentation schrecklich ist (schnelle, zusammenhanglose Montagen irgendwelcher Sequenzen, die nur selten etwas mit dem gesprochenen Text zu tun haben), sie nicht gerade ein Ausbund historischer Richtigkeit ist (was alleine die zweite Folge rund um Mario und Nintendo an Fehlern enthält, reicht eigentlich, um jeden Anspruch des Discovery Channels auf Seriosität die Grundlage zu entziehen) und neben Leute, die wirklich etwas zum Thema zu sagen haben (Nolan Bushnell, Alexey Pajitnov, Will Wright ...) auch diverse CEOs und Corporate-Hansel ihren Marketing-Speak abdrücken können, so lohnt es sich dennoch diese Serie anzuschauen.

Sehr schön ist zum Beispiel Folge 1, die den Beginn und die Ursprünge des Videospieles behandeln. Für mich wurde da zwar nicht sonderlich viel neues gesagt, aber zumindest diese Folge wird den Ansprüchen gerecht, die ich an eine Dokumentation stelle. Sehr gut!

Auch Folge 3, die den Themenkomplex "Ego-Shooter und Gewalt", sowie "Spiel und Militär" behandelt, ist erstaunlicherweise sehr gut geraten. Zwar hatte ich auf Grund des Umstandes, dass der DC ein US-Sender ist, bereits das Schlimmste erwartet, war dann aber doch durch die relativ differenzierte und neutrale Machart der Folge überrascht. Diese Folge sollte man sich gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um CoD4, um den Spagat zwischen Propaganda und Unterhaltung antun.

Grundsätzlich hat mir an dieser Serie gefallen, dass sie sich nicht nur als reine Historienschau, sondern auch als aktuelle Gesellschafts-Doku versteht. Dass sie ganz klar aussagt, dass Computerspiele (wie so vieles) nichts weiter als ein Kind und Produkt ihrer Zeit sind. Dass Computerspiele vor allem darunter leiden, dass Eltern (die so etwas überhaupt nicht kennen), verständlicherweise entsetzt und besorgt um ihre Kinder sind, weil sie als rein passive Betrachter des Geschehens gar nicht begreifen können, wie ihre Kinder als aktive Teilnehmer diese Spiele aufnehmen und verarbeiten. Dass Spiele (wie Filme und Literatur) auf Veränderungen und einschneidende Ereignisse reagieren und eine Reaktion der Leute auf diese Veränderungen darstellen. Dass Computerspiele natürlich nicht im luftleeren Raum existieren, sondern Ausdruck und Folge technischer, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen sind. Dass Computerspiele und vor allem die heutigen Entwicklungen im Bereich der MMO-Spiele NICHT zu bleichen Soziophaten führen, die sich im Keller verstecken, sondern Kindern und Jugendlichen frühzeitig diverse wertvolle Lektionen im Zusammenleben mit anderen Menschen beibringen können. Wie organisiere ich mich, wie verhalte ich mich, wie lerne ich mit vielen unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen aus allen Herren Länder einigermassen klar zukommen.

Dies zu den positiven Seiten der Serie. Doch wie bereits angesprochen, ist sie aber alles andere als perfekt oder zumindest von hoher Qualität. Zum einen wird sie in der typisch oberflächlichen. leicht konsumierbaren Edutainment-Art präsentiert, die den dummen Zuschauer bloß nicht überfordern soll. Viele, schnell geschnittene und zusamenhanglos montierte Bildfolgen, die oft überhaupt nichts mit dem gerade gesprochenen Off-Text zu tun haben. Die immer gleichen, sich wiederholenden Bilder einer Gruppe von Konsolenspielern und die immer gleichen, sich wiederholenden Sequenzen aus Spielen (mit freundlicher Genehmingung von Sony, EA und LucasArts). Zum anderen sind viele Ungenauigkeiten, Fehler und Weglassungen enthalten, was mich vor allem bei Folge 2 öfters die Hände über den Kopf zusammenschlagen ließ. Rein zufällig kenne ich mich ein wenig mit der Materie aus. Daher fällt es mir auf. Wer weiß, was für ein Schrunz ansonsten in vielen "Dokumentationen" verbreitet wird, die man auf Grund ihrer seriösen Machart für bare Münze nimmt?

Am schrecklichsten, peinlichsten, sogar hochnotpeinlichsten geriet die letzte Folge, in der es um MMO-Spiele und virtuelle Welten ging. Waren schon vorherige Auftritte von zB. Peter Moore nichts weiter als eine entlarvende Zurschaustellung von Corporate Speak (Spieler aus aller Welt treffen sich natürlich nicht über das Internet. Nein, sie treffen sich über XBOX Live! Denn bekanntlich hat ja auch Bill Gates das Internet erfunden! Internet Gaming und XBOX Live sind daher selbstverständlich ein und dasselbe), so gerät diese Folge endgültig zur reinen Werbeverkaufsveranstaltung für Produkte von EA und Sony. Vor allem wird "Second Life" und dem CEO von Linden Labs, der Betreiberfirma von SL, viel Raum geboten, damit dieser sein immer gleiches Werbegeschwätz vom "3D-Web" vorbringen kann, um noch mehr dringend benötigtes Risikokapital anzulocken. Es werden blind die Angaben von Linden Labs über die angeblich zig Millionen Mitspieler übernommen, es wird immer noch an der Fama und Medienlegende über Ailin Gräf, der ersten angeblichen Virtual World-Millionärin gestrickt. Diese Folge wurde jedoch vor wenigen Tagen, kurz vor Weihnachten ausgestrahlt. Dass Second Life mittlerweile sowas von "out" ist, viele Firmenfilialen mittlerweile wieder geschlossen wurden und der Großteil der User-Accounts tot ist ... das alles spielt hier keine Rolle. Ich habe nichts dagegen, wenn Second Life erwähnt wird. Ich habe nur etwas dagegen, wenn man mir in einer dokumentarisch sein wollenden Serie schlecht getarnte Werbung unterschieben möchte. Bähhh!

Licht und Dunkel liegen also eng zusammen. Viel Licht bei Themen, die man mittlerweile als "abgeschlossene Geschichte" bezeichnen kann oder die allgemeine gesellschaftliche Aussagen betreffen. Einige Schatten auf der historischen Korrektheit und extrem viel Finsternis bei Themen, bei denen nur den Sponsoren eine Plattform für das übliche Hype-Gebrabbel bereitgestellt wurde. Dennoch, wer sich zumindest ein wenig für Computerspiele über das reine Spielen hinaus interessiert, sollte sich "Rise of the Video Game" trotzdem anschauen.

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