Sonntag, 18. Oktober 2009

Die Faust in der Tasche

Man stelle sich vor, man ist so dumm und möchte seine Brötchen tatsächlich mit der Entwicklung, der Herstellung, dem Vertrieb von Computerspielen verdienen.

Man stelle sich ferner vor, wie toll es ist, wenn man sogar die Möglichkeit hat mit Veteranen der Branche zusammen zuarbeiten. Und wenn es, wie im Falle von John Romero, nur darum geht, wüste Geschichten aus den Glorreichen, den Wilden Jahren dieses doch noch recht jungen Mediums aus erster Hand zu erfahren.

John Romero hatte vor einer Weile ein paar Investoren gefunden, hat Slipgate Ironworks gegründet und bastelt seit etwa zwei Jahren an einem nicht näher definierten MMO. Man stelle sich vor, man würde dort engagiert und würde engagiert an eben jenem Titel arbeiten und in den Pausen wüsten Geschichten lauschen, wie John früher bei Ion Storm ... oder er und Carmack, als die Frau in der Kneipe ... oder wie Tom Hall damals ...

Man stelle sich vor, man arbeite also in einer kreativen, freien und anregenden Umgebung, umgeben von anderen Leuten, die auch nichts weiter tun wollen, als kreativ, frei und anregend an einem gemeinsam Projekt zu arbeiten. Toll, nicht? Würde, wie ich in meiner jugendlichen Naivität annehme, wohl jeder von uns gerne tun.

Man stelle sich nun aber vor, die Finanzkrise ginge nicht spurlos an unserem kleinen Entwickler-Paradies vorbei, es würden vielleicht Investoren abspringen oder zugesagte Milestone-Gelder würden ausfallen, eventuell wäre dadurch sogar das Projekt als solches gefährdet. Es passiert, was in solchen Situationen oft genug passieren muss. Man baut Personal ab, weil nicht mehr genug Geld da ist, um die Gehälter zu bezahlen. Das ist schon schlimm genug, zerstören solche Ereignisse doch gewachsene Strukturen und das fragile Beziehungsgeflecht, welches notwendig ist, um eine gesunde und konstruktiv-kreative Arbeitsumgebung zu schaffen, die absolute Grundvoraussetzung ist, wenn man im überfüllten MMO-Markt sich von der Masse entsprechend absetzen möchte.

Man stelle sich nun vor, wie sich entlassenen und verbliebenen Angestellten fühlen mögen, wenn diese Angelegenheit (Quellen sprechen von etwa 50 entlassenen Leuten bei Slipgate) offiziell von einem Sprecher der Firma folgendermaßen kommentiert wird:

"As part of our focus on reaching the widest possible audiences with breakthrough MMO entertainment, we decided to change the format of our project at Slipgate Ironworks to better achieve this aim. The game we'll launch will build on the efforts to date with a smaller core team and the other Slipgate staff are already in discussions around the many open positions across our slate of projects."

Alles easy, alles im Griff, alles unter Kontrolle, alles bestens und alle Zeichen stehen auf Wachstum und Prosperität.

In Momenten wie diesen ballt sich meine rechte Faust, um genau das zu tun, was Menschen mit geballten Fäusten normalerweise tun. Zuschlagen! Mitten in die Fresse. Bis das Blut fliesst.

Ich hasse dieses Corporate Speak. Ich hasse dieses Neusprech, diese schönfärberischen Uminterpretationen, die Verleugnungen und die zT. dreisten Lügen, mit denen nach Aussen die heile Welt und blühende Landschaften vermittelt werden sollen. Ich hasse es, wenn man Menschen wie rechtlose Ressourcen behandelt. Und als ich gestern Nachmittag im Buchladen meines Vertrauens erfahren habe, dass selbiger zum Ende des Jahres schliesst, weil die zum Douglas-Konzern gehörende Buch-Kette "Thalia" ihren Plan zur alleinigen Herrschaft über die Einkaufszonen deutscher Städte weiter nach Plan ausführt (in Karlsruhe und anderen deutschen Städten werden systematisch kleine Buchhändler aufgekauft und nach ein, zwei Jahren dichtgemacht, damit die Kunden lieber in die neuen Thalia-Läden gehen), da ballte sich mir nicht nur die Faust in der einen Tasche, sondern in der anderen Tasche klappte dann das Messer auf.

Zuerst zuschlagen, dann aufschlitzen. Von einem Ohrläppchen zum anderen. Vorne rum.

Ich könnte jetzt natürlich abgeklärt und gelassen was von Marktbereinigung und den üblichen Konzentrationsentwicklungen erzählen. Ich könnte etwas von "üblich, ist halt so, business as usual" erzählen und so tun, als ob es nicht nur vollkommen normal wäre, nein, sondern auch GUT so wäre, wie es ist. Denn der Markt, der sorgt dafür, dass wir reich und wohlhabend sind, nicht?

Ich will aber nicht.

Ich bin pissed.

Und mache mir so meine Gedanken, was man tun könnte, um derartige Lebens- und Denkstrukturen zu umgehen, zu ersetzen, zu ändern. Nein, weder kann ich fertige Lösungen anbieten, noch erhebe ich den Anspruch jemals eine fertige Lösung anbieten zu können. Ich mache mir aber meine Gedanken. Und bin der Faust dankbar, dass sie nicht ausfährt und ihr Werk verrichtet.

Schlicht und einfach aus dem Grund, weil ich somit wütend und motiviert bleibe.