Sonntag, 15. März 2009

Was tun?

Wir haben uns alle über den üblichen reisserischen Unfug aufgeregt, den die Medien, wie zu erwarten, in Windeseile in alle Medienkanäle gekippt haben.

Wir haben uns erneut über diverse Politiker aufgeregt, die solche tragischen Vorfälle nur dazu nutzen, um im Rampenlicht mit populistischen Forderungen Wahlkampf zu machen.

Wir haben uns auch über unsere Mitmenschen aufgeregt, aus denen zT. nur noch nackter Hass gegenüber jedweder Form von Jugendkultur spricht, weil sie aus Mechanismen des (leider) unvermeidlichen Generationenkonfliktes nicht ausbrechen können oder wollen.

Wir haben uns aber auch über strunzdumme Gamer aufgeregt, deren grenzdebile Äusserungen so ziemlich jedes Vorurteil belegen, dass man gegen "die da" haben kann.

Und nachdem wir uns, ja nach Veranlagung, entweder grün und/oder blau geärgert haben, stellt sich mir die Frage, was man tun kann um beim nächsten Vorfall, der so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche, entweder gelassener zu werden oder sein Scherflein dazu beigetragen hat, dass zumindest in der nächsten Umgebung der eine oder andere Mitmensch besser über das Große, Unbekannte, das Computerspiel als solches Bescheid weiß, so dass er weniger anfällig ist für die hysterische Propaganda der Jugendhasser und Kontrollparanoiker.

Man kann drei Dinge tun.

· Provokation:
Aufkleber und offen getragene T-Shirts mit "Ich bin ein Killerspieler" mögen dem einen oder anderen als zu derbe oder gar kontraproduktiv erscheinen, verhindern sie doch einen vernünftigen Dialog mit denjenigen, die in unserem Hobby eine Art Ausgeburt des Teufels sehen, doch kann eine solche direkte Provokation zumindest dazu beitragen, die Bedeutungshoheit über bestimmte Begriffe zu gewinnen. So haben es in den letzten Jahren Schwule und Lesben erfolgreich geschafft, die Begriffe "Schwul" und "Lesbisch" von ihrem beleidigenden Schimpfwort-Charakter zu befreien, in dem sie sich selbst ganz bewusst als schwul und lesbisch bezeichnet haben. Eine ähnliche Vorgehensweise verfolgt die internationale Gemeinschaft der Piratenpartei, indem sie den Begriff "Piraterie", den die Rechteinhaber gerne verwenden um Urheberechtsverletzungen zu brandmarken, eine neue Bedeutung geben wollen. Es ist keine schlechte Idee, den Begriff "Killerspiel(er)" aktiv zu verwenden, um dem unwissenden Bevölkerungsteil zu zeigen, dass es keine bösartigen Killerspiele und moralisch verkommenen Killerspiele gibt, sondern dies nur ein griffiger Propagandabegriff ist, der Entrüstung und emotionalen Aufruhr erzeugen soll.

· Konstruktiver Dialog:
Vielleicht der mühsamste Weg, erfordert es von einem nicht nur viel Kraft, sich mit zT. tief verwurzelten Vorurteilen auseinanderzusetzen, sondern es erfordert auch viel Recherchearbeit, um sich mit guten Argumenten einzudecken. Und ganz wichtig, es erfordert vor allem ein offenes Ohr, um dem Gegenüber nicht nur ein grandioses Argumentationsfeuerwerk um die Ohren zu blasen, sondern ihm zuerst zu zuhören (!), bevor man auf seinen Aussagen respektvoll und höflich eingeht. Es erfordert, dass man auch bereit ist, bestimmte Argumente des Gegenübers anzuerkennen, wenn dieses entsprechend valide sind. Es erfordert auch zuallererst (!) Respekt vor der Meinung des Gegenübers, auch wenn sich einem die Fußnägel aufrollen, sobald der Gegenüber den Mund aufmacht. Mühsam ist dieser Weg und es ist nicht gesagt, dass er zum Erfolg führt, denn vor allem von liebgewonnenen Vorurteilen verabschiedet sich niemand gerne und leicht. Man denke nur an die Vorurteile, die wir selbst zu bestimmten Themen haben. Aber es ist der nachhaltigste Weg, fördert er beim Gegenüber Verständnis und vielleicht sogar ein tatsächliches Verstehen. Es verbindet Menschen, anstatt darauf herumzureiten, wie blöde doch all diejenigen sind, für die Computerspiele und vor allem "Killerspiele" eine Vorform der Kriegstreiberei und Jugendverwahrlosung sind.

· Tee trinken ...
Jazzmusik aka Negermusik, Rock'n Roll, Comics, Groschenromane, lange Haare bei Männern, Fantasy-Rollenspiele, Techno, Computerspiele. Nur eine kleine Auswahl der "Aufreger" der letzten Jahrzehnte, bei denen die jeweils ältere Generation den Untergang der Zivilisation an die Wand malte, wenn die jüngere Generation nicht endlich damit aufhöre diese offenkundigen Irrwege zu beschreiten. Geht man weiter in die Geschichte zurück, wird man mit Sicherheit noch mehr Beispiele finden, in denen Wandel und Wechsel mit Beständigkeit und Tradition kollidierten. Der Generationenkonflikt ist etwas Unvermeidliches und wird auch uns eines Tages einholen, wenn wir verständnislos dem Treiben unserer Enkel zusehen, weil diese Dinge tun, die mit unseren Wert- und Moralvorstellungen nicht vereinbar sind. Von daher könnte man sich einfach entspannt zurücklehnen und abwarten, bis in 20-30 Jahren Computerspiele so sehr Mainstream geworden sind, dass die Jugenderinnerungen eines künftigen Spitzenpolitikers nicht nur Klavierunterricht und das Studieren der gesammelten Werke von Rilke beinhalten, sondern vielleicht auch diverse Stunden Deathmatch oder das Questen mit einem Ork-Schamanen in "World of Warcraft". Dann würde dieser Politiker wahrscheinlich, nein, mit Sicherheit :) andere Themen besetzen, um daraus wahltaktische Vorteile zu schlagen, aber zumindest könnte man mit "Killerspielen" nicht mehr punkten, weil die Generation, mit der man damit noch Angst einjagen konnte, schlichtweg verstorben ist.

Im Grunde ist der dritte Weg der weiseste Weg, da es wirklich nur noch eine Frage von ein, zwei Generationen ist, bis Computerspiele nicht mehr für eine obskure Randerscheinung gehalten werden, sondern so sehr Alltag sind, wie dies heute Theater, Literatur und Musik sind. Weil Computerspiele bis dahin ihren Kinderschuhen entwachsen sein werden und gezeigt haben werden, dass sie mehr sind als zielgruppenoptimierte Wegwerfprodukte für den kommerziellen Massenmarkt. Dann wird man sich auch entspannter und gelassener über Gewaltdarstellungen in diesem Medium unterhalten können, über die Grenzen, die gezogen werden sollten und über die Art und Weise, wie man Kindern beibringen sollte, mit diesen Inhalten umzugehen. Vielleicht, vielleicht wird man es bis dahin auch geschafft haben, in den Schulen so etwas wie "Medienkompetenz" zu vermitteln. Aber das letztere wäre dann noch nur ein frommer Wunsch von mir :)

Aber ... mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, sich einfach zurückzulehnen und den unvermeidlichen Generationenwandel abzuwarten. Nicht unbedingt, weil er mir zu langsam vonstatten geht und ich via Cheatcode die Level dazwischen überspringen möchte, sondern weil die aktuelle Aufregung um "Killerspiele", um Kinderpornographie und generell der Themenkomplex "Jugendschutz" leider von Leuten mißbraucht wird, die das Wohl und Wehe der Jugend nur im Worte führen, aber nicht im Sinne haben. Im Sinne haben diese Leute nur ihre eigenen, persönlichen, wirtschaftlich-politischen Vorteile, zu deren Erlangung und Erhaltung sie bestimmte technische Infrastrukturen und gesetzliche Rahmenbedingungen benötigen. Mittel und Werkzeuge, die man über den Umweg "Jugendschutz" wunderbar einführen und durchsetzen kann. Unter tatkräftiger Unterstützung von Mühe und Verantwortung der Erziehungsarbeit scheuender Eltern, die ihre Kinder nach dem goldigen "Eideidei"-Babyalter am liebsten irgendwo in ein Erziehungsheim abschieben würden, weil sie nicht mehr zum Rumzeigen vor Verwandten und Bekannten taugen, sondern sich unverschämterweise als junge, unerfahrene Menschen entpuppen, denen man viel Zeit opfern muss, um zumindest zu versuchen aus ihnen etwas Anständiges zu machen.

Von daher ... lieber stehe ich jetzt auf und reisse mein Maul auf, versuche die Propagandamär vom "phösen" Computerspiel zu vertreiben, damit meine Enkel nicht in einem perfiden, allgegenwärtigen Überwachungs- und Umsorgungsstaat aufwachsen, in dem sie nichts weiter sein dürfen als ein willfähriges Drohnenvolk für die dann herrschenden Wirtschafts- und Machteliten. Dass dabei diese unsägliche Hysterie um "Killerspiele" aufhört und man endlich daran gehen kann, einen vernünftigen Dialog zu diesem Thema zu führen, sehe ich hierbei nur noch als angenehmen Nebeneffekt.