Freitag, 24. April 2009

Nur die Gegenwart

Ich hatte es vor einer Weile schon mal angerissen, aktuell kommt mir das Thema bei einem Artikel über das Deutsche Computerspiel Museum wieder auf die geistige "Tagesordnung" ...

Über die Rolle von Computerspielen als zunehmend alltäglicher Bestandteil unserer Gesellschaft, über den Stellenwert von Computerspielen als "Kunst" und über das Archivieren von Computerspielen zum Zwecke des Erhalts für nachfolgende Generationen braucht man wohl kein weiteres Wort mehr verlieren. Computerspiele are here to stay und als moderne, kreative Ausdrucksform haben Computerspiele genau das selbe Anrecht auf Archivierung wie da Vinci's oder van Gogh's Gemälde oder diverse, zT. Jahrhunderte alte Handschriften.

Dass diese Archiverung bislang vornehmlich von Privatleuten unter grundsätzlicher Mißachtung jeglicher Urheberrechte vorgenommen wird, da die Entwicklung von Emulatoren, das Auslesen von Cartridges, das Erstellen und Verbreiten umfangreicher ROM-Sammlungen und der Betrieb mannigfaltiger AbandonWare-Portale entweder ganz klar im illegalen Bereich oder zumindest im Graubereich der Rechtslage betrieben wird, auch darüber braucht man sich nicht weiter zu unterhalten. Legal, illegal, scheissegal!

Worüber man sich aber unterhalten sollte (und das meine ich jetzt ernsthaft), das ist der Umstand, dass man Massively Mulitplayer Online-Spiele, dass man MMOs nicht so einfach archivieren kann. Denn wird ein Server abgeschaltet, verschwindet das Spiel in der Regel FÜR IMMER im digitalen Nirvana.

Es nützt mir nichts, wenn ich den Client archiviere, da er ohne den Server nur eine nutzlose Datenansammlung ist. Der Aufwand, per Reverse Engineering die Server-Software eines MMOs zu emulieren, übersteigt vielleicht nicht den Aufwand, den man betreiben muss, um Konsolen-Hardware ab PS2 und aufwärts emulieren zu können, doch dummerweise muss man diesen Aufwand bei JEDEM MMO auf's neue betreiben, da natürlich JEDES MMO eine andere Server-Software verwendet. Möchte ich zB. Neocron (hier steht eine perfekt erhaltene Kopie vollkommen nutzlos im Regal) emulieren, so habe ich nichts davon, dass man die Server-Software von WoW oder Ultima Online emulieren kann. Anderes Spiel, andere Software, alles wieder von vorne.

Von daher gehe ich davon aus (unter der Annahme, dass es wohl in den nächsten 20, 30 Jahren keine gesetzliche Regelung zur Sicherung der Software von Virtuellen Welten zwecks Erhalt wichtiger Kulturgüter geben wird), dass das große Genre "MMO" nur in wenigen Ausnahmefällen Einzug in solche Museen und Kataloge finden wird. MMOs werden immer nur im Augenblick des Spielens existieren, sie werden niemals Einzug in irgendwelche Hall of Fames halten können, wenn es keine aktiven Server mehr gibt, weil sie dann in Windeseile aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschen verschwinden und von anderen MMOs abgelöst werden.

Ich kann nirgendwo mehr World of Warcraft spielen, wie man es zum Release spielen konnte. Ich kann nirgendwo mehr eines der mittlerweile aberdutzende MMOs spielen, die im Laufe nur der letzten fünf Jahre von ihren Betreibern aufgegeben wurden. Ich kann kein einziges Browser-Spiel mehr zocken, dessen Seite nur noch mit 404 antwortet. Diese Spiele sind verschwunden. Endgültig und für immer. Gut, gemäß Sturgeons Gesetz waren davon eh min. 90% nur schrunziger Mist, aus einem geschichtlichen, historischen Blickwinkel ist dieser Umstand aber fatal. Sicher, es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man seinen Enkeln eines Tages stolz den WoW-Charakter live im Spiel zeigen kann, den man an dem Tag eingemottet hat, an dem man die Oma kennengelernt hatte, für den Rest des Angebotes sehe ich aber schwarz. Ausser Screenshots, Filmen und diversen Artikeln in den Weiten des Netzes wird von diesen Spielen nichts mehr übrig bleiben, was angesichts der interaktiven Art eines Spieles natürlich höchst unbefriedigend ist, dereinst für Historiker Grund für bittere Tränen sein wird.



Abgesehen von dem Umstand, dass eine ganze Generation keine Möglichkeit hat, viele Jahrzehnte später sich wieder mit den Dingen aus Kinder- und Jugendtagen zu beschäftigen, weil es diese Dinge tatsächlich nicht mehr gibt. Vergilbte Bücher lassen sich gut versteckt auf Dachböden finden, alte Schallplatten lassen sich sorgfältig gereinigt mit einem restaurierten Plattenspieler abhören, usw. usf.

Alte, eingestellte MMOs hingegen, die sind weg. Vollständig und für immer.

*puff*