Ego-Shooter - Niedergang eines Genres?
Es war einmal ...
Es war einmal Klein-Harzzach, der auf Besuch bei einem Bekannten fasziniert auf den Bildschirm starrte und plötzlich von nur einem Gedanken beherrscht wurde: HABEN WOLLEN, SPIELEN WOLLEN!
Es war die Zeit von Wolfenstein-3D. Es war der Beginn der Morgendämmerung des Ego-Shooters. Es war eine gute Zeit.
Und als die Ego-Shooter-Sonne so langsam ihr Haupt über den Horizont hob, wurde Harzzach vollends in Extase versetzt, denn Doom materialisierte auf Erden. Und danach Doom 2. Und Duke Nukem 3D. Und Blood, Shadow Warrior. Und dann ... Quake! Es war die Zeit, in der es kein anderes Genre mehr auf dem Markt zu geben schien. Ego-Shooter waren DAS Thema schlechthin, Ego-Shooter waren DER Trendsetter. Denn nicht nur haben sie als neues Genre die Welt bereichert, Ego-Shooter waren auch die Triebfeder für neue Entwicklungen im graphischen Bereich, den kommerziellen Durchbruch von Graphik-Beschleunigern und dem Aufstieg von Firmen wie 3DFX oder NVidia. Denn Quake 2 bescherte der Spielewelt das Wunder des farbigen Lichtes, während Unreal die Gemeinde nur noch in Ehrfurcht und staunenden, offenen Mündern zurückließ.
Ich habe mir in dieser Zeit JEDEN Ego-Shooter gekauft, der für den PC erschienen ist. Ich habe für Doom eigene Level erstellt. Ich habe noch mehr Geld für Addons wie das brilliante Scourge of Armagon oder das leider ohne große Beachtung gebliebene, höchst innovative und kreative Malice ausgegeben. Ich habe mir manchmal wirklich das Brot vom Munde weggespart, nur damit ich mir extra für Quake 2 eine Diamond Moster 3D oder für Unreal eine (bzw. zwei) Voodoo 2-SLI + neuen Rechner leisten konnte. Ich war süchtig nach Ego-Shootern.
Doch wie wir alle wissen: Wer hoch steigt, der tief fällt.
Die erste kleine Ernüchterung kam mit Quake 3 und Unreal Tournament. Ich war nie ein großer Freund von Multiplayer-Spielen. Ich habe zwar meine Portion Deathmatch mit Doom und Marathon gehabt, aber so wirklich hat mich das nie vom Hocker gerissen. Mein Faszination an Ego-Shootern beruhte in erster Linie auf der immersiven Perspektive, der Ego-Ansicht, die mich unmittelbar in eine Welt brachte. Und sie beruhte auf dem Leveldesign, der Architektur und dem Layout phantastischer Örtlichkeiten, die so in der Wirklichkeit nicht existierten, die ich aber dank Ego-Perspektive direkt und unmittelbar durchstreifen konnte.
Doch Q3 und UT störten nicht weiter, denn es gab ja immer noch genügend hervorragende SP-Spiele wie SIN oder Half-Life mit seinen Addons.
Es störte auch nicht, dass mit Medal of Honor der Pseudo-Realismus Einzug hielt und das Subgenre "WK2-Shooter" begründet wurde. Es störte auch nicht, dass mit Operation Flashpoint oder Ghost Recon das ursprüngliche Arcade-Baller-Prinzip mit Taktik-Elementen erweitert, bzw. ersetzt wurde. Und es störte erst recht nicht, dass mit Thief und Splinter Cell das Subgenre "Sneaky Shooter" enstand. Denn die Zeiten waren immer noch gut, es gab genügend Auswahl für jeden Geschmack, es gab für mich alten Baller-Freak Serious Sam, KISS Psycho Circus oder Painkiller. Es gab die Jedi Knight-Spiele, die Hexen- und Heretic-Reihe, die meinen Bedarf an phantastischen Welten deckten, weil ich die Normandie lieber als Tourist besuche, anstatt mich zum x-ten Male in Wiederholung des D-Days in den virtuellen Dreck zu werfen.
Doch wehe, wehe, die dunklen Wolken am Horizont wurden dichter und dichter.
· Duke Nukem Forever wurde zur Witzfigur der gesamten Branche, weil 3DRealms die Fertigstellung nicht auf die Reihe bekommt und das Spiel immer noch keinen Anlass macht jemals das Tageslicht zu erblicken.
· Unreal 2? Um Himmels Willen ...
· Half-Life 2 (inklusive Episode 1) entpuppte sich als zwar perfekt produzierte, spielerisch jedoch durchwachsene Mischung aus einigen netten Ideen und viel, viel ödem Allerweltsgameplay.
· Doom 3 enttäuschte massiv, weil es sich als spielerisch äusserst mangelhafte Tech-Demo für John Carmacks neueste Engine entpuppte.
· Quake 4 bot zwar ordentlich produzierte, aber nur mäßig interessante Unterhaltung an, da einfach "der Funke" nicht überspringen wollte.
· Serious Sam 2 zeigte die Grenzen des "Nur Ballern-Gameplays" auf, weil man eine länger als 15 Minuten durchgehende Sitzung kaum ertragen konnte. Ideal nur für die Mittagspause.
· Far Cry schoß sich mit Savepoints, unbalanciertem und uneinheitlichem Gameplay und einem faden, langweiligen Szenario selber ins Aus. Da half auch die prächtige Dschungelgraphik nichts.
· SIN Episodes 1 war nur noch ein einziges Trauerspiel, das Projekt wurde zu Recht aufgegeben, der Entwickler Ritual von einem Anbieter von Casual Games aufgekauft.
· Und aus Osteuropa kam das untrügliche Anzeichen für jeden Genre-Niedergang: Ein fast nicht enden wollender Strom belangloser Ego-Shooter von zT. nur noch gräßlich zu nennender Qualität.
Und Prey war nicht mehr als ein kleiner Lichtblick, warf das Spiel mit seinem überbordenden, flippigen und höchst kreativen Leveldesign doch um so deutlicher ein Schlaglicht auf den traurigen Zustand des Genres.
Es gibt keine Weiterentwicklung, es gibt keinen Mut etwas neues zu versuchen, es gibt nur noch "Auf Nummer Sicher gehen"-Fortsetzungen, die bereits etablierte Formeln in leicht verbessertem Graphikgewand wiederholen. Ego-Shooter sind heute entweder mit Millionenaufwand produzierte, langweilige Gameplay-Zombies oder belangloser, schlechter Billig-Scheiss, mit dem man den schnellen Euro machen möchte.
Dass Crysis in erster Linie mit DirectX10-Features von sich Reden macht, lässt befürchten, dass (wie beim Vorgänger) vom Gameplay selber nicht viel zu erwarten ist. Wahrscheinlich nur ein weiterer Graphikblender par excellence. Und Stalker? Kann Stalker dem Genre neues Leben einhauchen? Aktuell hat die Gamestar dem Spiel 90% gegeben. Gamestar hat allerdings auch HL2 über alle Maßen hochgejubelt und kaum ein kritisches Wort über Doom 3 fallen lassen. Die Spielepresse als solche hat eh ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem, so dass mir in diesem Falle nichts weiter übrig bleiben wird, als mir via P2P selbst ein Urteil zu bilden.
Sprich, sollte Stalker sich als hochambitionierter, aber spielerisch mißlungener Mammutflop entpuppen, wird das Genre für eine lange, lange Zeit in Dornröschenschlaf versinken. Es wird natürlich noch diverse uninspirierte Fortsetzungen etablierter Marken geben, die aber ausser den ausgesprochenen Fans dieser Marken niemanden mehr interessieren werden. Das Rollenspiel war einst verschwunden, das Adventure ebenfalls. Beide haben es dank engagierter und kreativer Entwickler zwar geschafft, wieder ans Tageslicht zurückzukommen, andere Genres wie Flight-Sims oder rundenbasierte Strategiespiele werden aber wohl für immer verschwunden bleiben.
Ja, ich weiß, dass reine Multiplayer-Shooter boomen ohne Ende. Ich weiß, dass mit Quake Wars ein Spiel in den Startlöchern steht, dem es gelingen kann, diesem Subgenre einen gewaltigen Schub nach vorne zu verpassen. Aber das ist nur ein Subgenre, eine Nische. Das Genre Ego-Shooter, dass sich einst durch mannigfaltige Auswahl für jeden Geschmack ausgezeichnet hat (wie es üblich für ein gut florierendes Genre ist), ist als solches derzeit aber tot. Sehr, sehr tot. Und es ist weit und breit kein passendes Savegame zur Hand ...
Wie bestellt, wird heute bei Kotaku.com auf einen Artikel über 10 Regeln für Ego-Shooter (oder FPS wie der Angelsachse zu sagen pflegt) verwiesen. Der Originalartikel ist zwar hoch interessant, wichtiger erscheinen mir in diesem Zusammenhang die Kommentare bei Kotaku selbst. Dort sieht man wunderschön, wie mannigfaltig die Vorlieben und Erwartungen der Leute an Ego-Shooter sind. Die einen wollen zB. mehr Story, die anderen weniger. Und genau diese Vielfalt findet sich heute in diesem Genre nicht mehr, da es zZ. einfach viel zu wenig Ego-Shooter gibt und daher viel zu wenig Auswahl gibt.
Warum das so ist, darüber kann man gerne unterschiedlicher Meinung sein. Mit der wichtigste Grund wird aber in folgendem Kommentar IMHO sehr treffend zusammengefasst:
"I always thought the first rule of FPS games is you have to have better graphics than anything else currently on the market. If you have that, anything else will be forgiven."
Passt wie die Faust auf's Auge, wenn man sich die letzten Jahre anschaut. Graphik hui, der Rest des Spieles bestenfalls Durchschnitt. Doch genug des persönlichen Rants und Gequengels. Demnächst wird STALKER auf dieser meiner Festplatte aufschlagen. Dann werden wir ja weiter sehen, wie es um das Genre bestellt ist.