Verkalkte Seelen
Ich bin heute abend beim Rumsurfen auf ein Interview gestoßen, welches die Welt Online mit Guillermo del Toro führte. In diesem Interview wird ihm folgende Frage gestellt:
WELT ONLINE: Warum brauchen Erwachsene Märchen mehr als Kinder?
Del Toro: Als Kind musst du keine Wachstumshormone einnehmen, du wächst ohnehin. Bei den Erwachsenen dagegen verkalken nicht nur die Adern, sondern auch die Seelen. Sie sind gegen Magie immun, denn sie werden von der Welt geknechtet. Das einzige, wovon sie noch träumen sind der nächste Gehaltsscheck oder im besten Fall ein Glas Whisky zum Zubettgehen. Sobald du anfängst, als Erwachsener zu funktionieren, verschwindet der Glanz einer Welt voll Spiritualität und Zauber. Wir glauben, die Wirklichkeit sei mächtiger als unsere Vorstellungskraft. Für eine solche Haltung sind Fantasiegeschichten das perfekte Gegengift.
Zwar habe ich hier geschrieben, dass ein Senior Gamer nicht mehr so leicht in Aufregung versetzt werden kann, dass er im Laufe der Jahre abgeklärter und erfahrener geworden ist. Aber ... heisst dass, das unsere Seelen verkalkt sind? Sind Senior Gamer, nur weil ihre Reizschwelle höher gelegt wurde und nicht mehr so leicht auszulösen ist, geknechtete graue Hutzelmänner und -frauen? Haben wir es verlernt, den Zauber zu spüren? Haben wir verlernt, das Magische in einem Spiel zu sehen? Nehmen wir Spiele nur noch als komplexes Software-Projekt war, bei dessen Anblick wir unsere Sinneseindrücke mit dem Skalpel bearbeiten und die blutigen, zuckenden Einzelteile schön in die Schubladen Interface, Texturen, Pixelshader oder Gamedesign einsortieren? Wo sind sie hin, die zittrigen und vor Aufregung verschwitzten Hände, als wir Diskette 2/4 ins Laufwerk legten und wussten, dass nur noch die Hälfte der Installationsprozedur zwischen uns und dem neuen Spiel stand. Wo sind sie hin, die Welten, in denen wir uns in unserer Gesamtheit, mit all unserer Kraft und unserem Geiste bewegt haben, obwohl es doch "nur" kleine, pixelige Bitmaps auf einem mickrigen 14Zoll-Monitor waren. War es das für uns? Ist es vorbei? Konsumieren wir nur noch Spiele, weil wir es so gewohnt sind. "Spielen" wir die Spiele noch?
Ich weiß ja nicht, was in Euren Hirnzellen vor sich geht, wie sehr Ihr Eure Gefühle und Träume rationalisiert habt, wie stark das Narbengewebe der Lebenserfahrung Euer Sein zugewuchert hat ... ich kann bei mir ein mittlerweile beständiges Rieseln körnigen Calciumkarbonates feststellen. Ich kann nicht leugen, dass ich mittlerweile die 40 überschritten habe und ich die Wunder der Kindheit ums Verrecken nicht zurückholen kann.
Aber ...
... solange ich beim Klang von Maaya Sakamotos Stimme und speziell bei diesem Lied die ganze Welt umarmen könnte:
... solange ich beim Anschauen dieses Trailers das Gefühl habe, vor mir öffnet sich ein Spalt in eine neue, phantastische Welt (das Spiel war zwar ein Rohrkrepierer, aber der Trailer haut mich immer noch vom Hocker ^^):
... solange ich mich wie ein Honigkuchenpferd auf die in den nächsten Tagen erscheinende Demo von Command & Conquer 3 freue ...
... solange weiß ich, dass vielleicht ein alter Sack, aber noch lange nicht einer dieser schrecklichen Erwachsenen bin, die eines Tages mit dem Spielen aufgehört haben, weil es zu "kindisch" wurde.