Neulich in Galiläa
Auslöser für dieses *hüstel, nasal weitersprech* kleine Essay war eine hitzige Diskussion im Kommentarbereich von WT, in der es um das Übliche ging: Das ständige Aufeinanderrumgehacke von Leuten, die es nicht ab können, wenn jemand Spass an Dingen hat, die sie jedoch abgrundtief verachten.
Für den Aussenstehenden und des Themas Unkundigen bietet sich hier selbstverständlich das übliche Bild verstockter Kinder, die wutschnaubend aufeinander einprügeln und sich die Haare ausreißen. Der Außenstehende wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach entweder lachend oder angenervt abwenden und sich wichtigeren Dingen widmen, wie zum Beispiel der Frage, warum der Verkauf von Motorrädern aus Japan hierzulande immer noch nicht gesetzlich verboten ist oder der richtigen Objektivwahl bei der Aufnahme von Blumengestecken.
Sollte besagter Außenstehender aber eines Tages beschließen, doch die Frage aller Fragen zu stellen, welche da lautet: "Hey, wieso regt ihr Euch eigentlich so auf?", dann sollte besagter Außenstehender vielleicht einen weisen Einsiedler aufsuchen, um sich Rat zu holen.
Die Kamera zeigt einen jungen Mann, der eben zwei Ziegen vor dem Höhleneingang angebunden hat. Er nimmt vor einen alten, weisen und gütig lächelnden Greis Platz, der auf einem Stein sitzt und sich gerade die letzten Reste Hafergrütze von den Fingern leckt.
Außenstehender, der Kürze halber ab sofort AS: "Also, alter Mann. Um was geht es bei diesem Zinnober? Wer sind Konsoleros? Wer sind diese Nerds? Und warum sind beide jeweils doof und haben keine Ahnung?"
Alter, weiser Mann, aka AWM: "Hmmhrmpf, gut. Wollen wir uns also erstmal mit den Grundlagen beschäftigen. Beginnen wir mit den Konsoleros, die ..."
AS: "Warum? Wieso die zuerst?"
AWM: "Nun, weil, eigentlich, hmm, stimmt ... also chronologisch waren die Nerds als erste da. 1958 um genau zu sein. Gut, beginnen wir daher mit den Nerds! Nerds, das waren und sind diese Leute, die sich nachts in schlechtbeleuchteten Räumen der Universität herumtreiben, sich dabei die Augen kaputtmachen, deswegen dicke Hornbrillen tragen und nichts weiter im Sinne haben, als sich mit Deinen Steuergeldern eine schöne Zeit zu machen, während sie zum Beispiel Anfang der 60er das hier auf den damals millionendollarschweren, kühlschrankgroßen ersten Computern programmierten."
AS: "Ach ..."
AWM: "Jaja, so war das damals. Und dann sind die Computer immer kleiner geworden, während sie immer mehr konnten. Und billiger! Und die Spiele größer. So konnte der Apple 2 im Jahre 1977 mit sagenhaften 48 KB RAM im Handel für nur knapp 2500 Dollar erstanden werden. Schnäppchen! Damals ... ja, damals ..." *Blick schweift in die Ferne* *murmelt*
AS: "Und dann? Wie ging's weiter? So mit den Spielen?"
AWM: *blickt überrascht auf* "Die Spiele? ... ach, die Spiele! Natürlich, die Spiele. Die wurden immer größer, weil die Hardware immer besser wurde. Unter anderem war da Richard Garriot, DER Richard Garriott ..."
AS: *zuckt mit den Achseln, schafft es dennoch, einen interessierten Gesichtsausdruck zu bewahren*
AWM: " ... der hat zwei Jahre später Akalabeth geschrieben. Für viele das erste richtige Computer-Rollenspiel. Und so ging es dann Schlag auf Schlag. IBM brachte mit dem IBM-PC die Arroganz und Überheblichkeit der Großrechner-Ära ins heimische Wohnzimmer und den Büroarbeitsplatz usw. usf."
AS: "IBM? Ach, mein Bruder hatte so einen. C4-irgendwas. Hat ihn ein Schuljahr gekostet!" *kichert*
AWM: "Du meinst sicher den C64! Der kam von der Firma Commodore. Und C4 ist ein Sprengstoff ... aber als Computer hatte der C64 auch eine gewaltige Sprengkraft. Das war nämlich ein so genannter Homecomputer. Die waren noch billiger als die Apples und IBMs und noch kleiner und konnten ... *hustet* ... fast genausoviel wie die großen Brüder. Aber der günstigen Preis hatte bereits damit zu tun, warum sich heute Konsoleros und Nerds den Schädel einschlagen. Denn Homecomputer waren ... nun ja, Homecomputer. Keine richtigen Computer. Standen nicht im schönen Großraumbüro, sondern im chaotischen Kinderzimmer. Konnte auch jeder bedienen. Man musste kein Nerd mehr sein. Nur noch Freizeit-Nerd. Niemand musste einen teuren Lehrgang absolvieren. Man musste nur das Handbuch lesen. Ja, so war das damals ... damals ... " *Blick schweift in die Ferne*
AS: *schnippt mit den Fingern" "Hallo?"
AWM: *räuspernd* "... wie? Ahh, gut! Ja, der Brotkasten, wie wir ihn damals liebvoll nannten. War schon toll, das Teil. Ganze 64 KB RAM. Doppelt so viel wie die Luxusvariante des Apple 2. Und frei programmierbare Funktionstasten. Und ..."
AS: "Und was hat das jetzt mit dem Gezoffe zwischen Konsoleros und Nerds zu tun? Und mit Spielen?"
AWM: "Ahh, gut. Konsoleros, ja. Kommen wir nach diesem kleinen Ausflug in die Geschichte des PCs also zu den Konsoleros. Der Vater aller Konsoleros war Nolan Bushnell. Nolan hat 1972 die Firma Atari gegründet, die zum ersten Mal die Spielhallen Amerikas (und später der Welt) statt mit Flippern mit elektronischen Geräten ausgestattet hat, die einzig und alleine zu einem Zweck geschaffen wurden, Zum Spielen! Und das Geschäft lief gut. Glänzend! Und im Jahre 1979 veröffentliche Atari mit dem Atari VCS 2600 eine der ersten ... tataaaa ... reinen Spielkonsolen! Ein kleiner Kasten, den man sich für schlappe 200 Dollar (wir erinnern uns an die 2500 Dollar für den Apple 2 zwei Jahre früher?) in die Wohnung stellen, an den Fernseher anschliessen und ohne großes Gefrickel Spiele zocken konnte. Einfach so! Jeder!"
AS: "Klingt doch gut, oder?"
AWM: "Gut? Sensationell war das! Millionen von glücklichen Kindern. Millionen von seeligen Müttern, die endlich a) ihre Ruhe hatten und b) sich nicht mehr ständig Sorgen machen mussten, weil die Kinder irgendwo draußen auf zu hohen Bäumen herumklettern oder sich beim Fahradfahren die Fresse aufgeschlagen haben. PERFEKT! Und so kamen nach und nach auch andere Firmen wie Mattel, Nintendo, Sega oder Sony auf den Geschmack und boten neuere, bessere Konsolen an, mit denen man(n) respektive Kind schönere, größere Spiele spielen konnte."
AS: "Und wieso nur Kinder? War das den Erwachsenen zu doof? So wie man irgendwann aufhört, mit Puppen zu spielen?"
AWM: "Weißt Du, mein junger Padawan ... ach, Du hast mit Puppen gespielt?"
AS: *schaut genervt*
AWM: " ... das hatte zwei Gründe. Erstens, würdest Du Deinem Kind ein 2500 Dollar teures Geschenk hinstellen?"
AS: "So direkt gefragt ..."
AWM: "Nein, natürlich würdest Du das nicht tun. Darum haben die Väter und Mütter auch Konsolen gekauft. Und keine PCs."
AS: "Und zweitens?"
AWM: "Und zweitens hat man das für die Kinder gekauft, weil es die Geräte wo gab?"
AS: "Im ..."
AWM "Richtig! Im Spielzeugladen oder der entsprechenden Kaufhausabteilung oder weil sie zwischen all den Spielsachen der Versandhauskataloge abgebildet waren. Konsolen waren also aus preislichen und marketing-technischen Gründen ein Kinderspielzeug. Deswegen wurden auch die Spiele auf diesen Konsolen für Kinder geschrieben. Bunt, laut, knallig, viel Action (aber ohne zuviel Blut und Gewalt), einfache Charaktere, simple Geschichten. Somit ein perfektes Ziel für all diese gräßlichen Moralapostel ... *ereifert sich* ... , die in Videospielen den drohenden Untergang des Abendlandes sahen, Verrohung und Verdummung der Jugend und all dieses verlogene Geschwafel!" *ereifert sich noch mehr*
AS: *sich unaufällig Spucke aus dem Gesicht wischend* "Und das hat mit meiner Frage was zu tun? Diese Frage vom Anfang. Wo ich wissen wollte, warum sich Konsoleros und Nerds gegenseitig den Schädel einschlagen? Und wer sind jetzt die Konsoleros? Diese Nolan-Firma-Leute?"
AWM: "Nur keine Panik, mein Junge. Wir sind gerade auf die Zielgerade eingebogen! Konsoleros sind übrigens die Leute, die nicht auf dem PC, sondern auf der Konsole spielen."
AS: *murmelt leise* "... endlich! Wurde auch Zeit ..."
AWM: "Ich nehme an, dass Dir die üblichen Muster bekannt sind, nach denen Flamethreads zwischen Konsoleros und Nerds ablaufen?"
AS: "Jepp! Einerseits heißt es, PC-Spieler sind doof, weil sie jedes (!) Jahr einen Haufen Geld für schweineteure Hardware und verbuggte Spiele ausgeben, während man selbst als Konsolero einmal alle sechs Jahre eine Konsole mit fester, fixer Hardware-Umgebung kauft und gekaufte Spiele einfach in die Konsole einlegt und losspielt, ohne sich erst stundenlang mit nerviger Treiber-Installation und Bugsuche beschäftigen muss. Nerds sind Masochisten mit zuviel Geld!"
AWM: "Richtig. Gut beobachtet!"
AS: "Und andererseits heißt es, Konsoleros sind doof, weil sie miese, veraltete Hardware haben. Und keine Ahnung haben, wie man richtig Ego-Shooter spielt. Und weil es auf Konsolen nur lahme Kinderspiele gibt. Und weil (was die Nerds besonders hart trifft) durch die Zunahme von Multiplattform-Titeln viele Spiele auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner programmiert werden (hier die schwächere Konsolenumgebung und die einfacheren Ansprüche von Konsoleros) und man deswegen immer weniger komplexe und aufwendige vielfältige PC-Spiele hat. Konsoleros sind dumm und haben keine Ahnung von nix!"
AWM: "Ja, auch das ist gut beobachtet. Man sieht an diesen gegensätzlichen Positionen schön die Gruppenbildung, das Abgrenzen vom "fremden" Stamm, das Betonen charakteristischer eigener Merkmale, das Hervorheben positiver eigener Merkmale, das Heruntermachen negativer Merkmale des anderen Stammes. Um damit wieder auf die Geschichte des PCs zurückzukommen. Der PC war in erster Linie ein Werkzeug, mit dem sich Ingenieure, Buchhalter und andere richtige Männer beschäftigt haben. Damit wurde nicht gespielt, damit wurde gearbeitet."
AS: "Aber Du hast doch das mit diesem Richard erwähnt, der mit dem ersten PC-Spiel? Und diese Physiker, die anstatt Sonnenprotuberanzen zu berechnen, Millionen an Steuergeldern für private Späßchen verbraten haben?"
AWM: "Richard Garriot, der als Entwickler des ersten richtigen Computer-Rollenspieles gilt. Ja, natürlich wurde auf dem PC auch gespielt. Auch!! Das ist das Zauberwort. Man konnte sich ernsthafter, produktiver Arbeit hingeben und (!) in der Mittagspause oder heimlich während der Arbeitszeit Solitär spielen oder mit Larry Laffer virtuelle, Frauen darstellende Blockgrafiken aufreißen. Der PC war etwas für Erwachsene, denen es zu peinlich war, sich mit Spielekonsolen erwischen zu lassen. Denn Konsolen waren ja Kinderspielzeug. Und deswegen fällt es den Nerds auch sehr leicht, auf die Konsoleros herabzublicken. Denn Nerds mussten, vor allem früher, deutlich mehr auf dem Hirnkasten haben. Ehrlich, das war so. Um all diese Hardware richtig zusammenschrauben, mittels einer komplizierten Texteingabe die Programme zu starten und so weiter und so fort. Höllisch kompliziert! Das war nicht unbedingt was für jedermann/frau. Da war richtiges Wissen und viel logisches und abstraktes Denken gefordert. Da gehörte man zu einer kleinen, auserwählten Gruppe, zu einem Geheimzirkel. Übrigens eine typische Charaktereigenschaft junger Kinder, die auch gerne Geheimbünde und kleine Zirkel gründen, um sich gegenüber anderen Kindern abzugrenzen und sich selbst herauszuheben. Aber das nur nebenbei ..."
AS: "Und die Konsoleros waren dann die doofen Nixblicker?"
AWM: "Ähmmm, also ... ja! Auspacken, an Fernseher anschließen, Spiel einlegen, spielen! Da war nicht unbedingt geistige Hochleistung gefordert. Das konnte jeder Depp, um mal etwas drastisch auszudrücken. Da haben wir also auf der einen Seite die Nerds, die Akademiker, die sich den Spielstart im wahrsten Sinne des Wortes erarbeiten mussten. Die das Spiel am PC durchaus berechtigt als Belohnung für all die anstrengende Kopfarbeit betrachteten. Und auf der anderen Seite der Pöbel. Spielkonsolen, die früher in Spielhallen standen. Unterhaltung für die einfachen Leute, die kein Geld für Konzerte oder Theater, sondern nur einige Pennies für die "Arcade" hatten. Die eine Seite verachtet die andere Seite, weil diese unterhalb ihres Niveaus ist. Anstatt "erwachsener" Unterhaltung oftmals nur kindisch-simples Gezocke bieten kann. Und die andere Seite verachtet die eine Seite, weil diese so doof ist und sich selbst das Leben schwer macht, nur um ein Computerspiel zu zocken."
AS: "Ok. Soweit, sogut. Damit ich das richtig verstehe. Beide spielen!
AWM: "Ja!"
AS: "Beide benutzen dazu elektronische Hardware, die sich nur in kleinen Details voneinander unterscheidet!"
AWM: "Ja!"
AS: "Und beide zoffen sich wie die Blöden, weil es der eine nicht ertragen kann, wie der andere spielt?"
AWM: "Korrekt!"
AS: "Wegen Spielen, Computerspielen, Videospielen ... whatever!"
AWM: "Jepp!"
AS: "Sorry! Ich kapier's nicht! Wieso regen die sich dann eigentlich so auf? Du hast ja meine Frage immer noch nicht beantwortet!"
AWM: *lächelt* "Doch, das habe ich. Warum regen sich diese zwei Lager gegenseitig so auf? Das war deine Frage. Weil sie unterschiedliche Vorstellungen haben, wie und vor allem WAS ein Spiel zu sein hat. Das ist meine Antwort."
AS: "Aber ... das ist doch kein Grund sich aufzuregen! Danach habe ich eigentlich gefragt! Deswegen bin ich extra hierher gekommen und habe Dir die beiden Ziegen mitgebracht! Du hast mich beschissen, Du alter Hund!"
AWM: "Neinnein, in meinen AGBs, die Du auf diesen Tontafeln vorhin selbst gegengezeichnet hast, habe ich ausdrücklich ..."
Die Kamera löst sich langsam von den beiden zankenden Männern, schwenkt über den Höhleneingang den Hügel hinauf und blendet mit der untergehenden Sonne im Hintergrund langsam ab.