Sonntag, 4. November 2007

Der Ford Edsel des Action-Rollenspiels?

Vorbemerkung: Das ist natürlich keine "richtige" Review oder gar ein abschliessendes Urteil. Folgende Sätze sind nur meine ganz persönlichen Eindrücke, Impressionen und Gedankengänge nach ca. drei Stunden Beschäftigung mit Hellgate London.

Nachdem ich mit Mythos meinen täglichen "30-60 min-Spass" habe, wollte ich nicht weiter dumm bleiben und habe mir die Hellgate London-Demo gezogen.

Nun, nach dem Spielen der Demo habe ich mir noch die Vollversion besorgt, weil ich wissen wollte ... weil ich wissen wollte, ob das tatsächlich so über die Ladentheke geht.

Und ja, es geht tatsächlich so über die Ladentheke.

Vielleicht tue ich Flagship Studios unrecht, vielleicht habe ich trotz des Wissens, dass es sich hier um einen Arcade-Multiplayer-Schnetzler a la Diablo handelt, immer noch zuviel erwartet. Vielleicht war es auch ein Fehler, der Welt letztes Jahr dieses absolut gigantisch aussehende Gameplay-Video zu zeigen. Ich habe mir das Teil gestern abend nochmal zur Gegenkontrolle angeschaut. Ich habe mir die Videopreview von der Gamestar nochmals angeschaut. Es ist schon erstaunlich, dass eine Alpha ca. anderthalb Jahre vor (!) dem Release zT. besser aussieht als das fertige Spiel. Entweder hat man ganz gewaltig das Video nachbearbeitet oder es ist letzten Monat versehentlich ein Build mit einer alten Version ins Presswerk geraten. Es ist nicht so, dass HGL schlecht aussieht. Nein, nicht unbedingt schlecht. Aber so ... so ... langweilig?

Und es ruckelt. Nicht ständig, aber immer wieder Ruckler, wenn der Char ein paar Meter weiter läuft und scheinbar Leveldaten nachgeladen werden. Was ich eventuell nachvollziehen könnte, wenn in einer Multiplayer-Partie Client und Server Daten abgleichen und der Client nur ein 56k-Modem hat, aber bei einer SP-Partie? Achso, ja klar, das soll nur den Spieler darauf vorbereiten, wie es dann im richtigen Spiel zugeht. Natürlich, logisch! ;-P

Der Singleplayer-Part ist dürftig. Richtig dürftig. Nach nur 10 min habe ich bereits vergessen, dass ich eigentlich einer Hauptmission zu folgen habe, erledige die erste Nebenmission, in der es um ein verlorenes Kunstbein geht (Hahaha, netter Scherz, Mr. Roper :) ), erledige noch eine Mission ... und frage mich dann, was das eigentlich alles soll. Nein, was ICH hier eigentlich soll. Weil, Spass macht das nicht. Langweilig. Öde. Wer sich HGL kaufen möchte, weil er wie bei Diablo 2 eine fetzige und atmosphärische SP-Kampagne spielen will, der sollte davon bitte Abstand nehmen. Die Anspannung, die man nach Betrachten des Intros verspürt, verflüchtigt sich nach kürzester Zeit in den Tunneln der Londoner U-Bahn. Zu deutlich merkt man dem Spiel an, dass man in dieses Feature so gut keine Arbeit gesteckt hat, dass der SP-Part nichts weiter ist, als eine simple Offline-Partie. Flagship, verzichtet bitte auf einen SP-Part, wenn ihr keinen Bock oder einfach keine Ressourcen dafür habt, ja? Habe ich kein Problem mit. Aber nicht ... nicht sowas. Das ist armselig!

Und ja, wie bereits in den Kommentaren erwähnt, nervt es, wenn NPCs ein Standard-Sprachsample von sich geben, welches überhaupt nichts mit dem Dialog zu tun hat. Ist wohl eine Folge, wenn man prozedurale Inhalte und Quests erstellt, diese aber nicht alle vertonen möchte, aber trotzdem nicht auf Sprachausgabe verzichten will. Jungs, entweder, oder. So aber wirkt das, hmmm, wie gewollt und nicht gekonnt. Richtig, das ist bei Mythos ebenfalls so. Aber dafür bezahle ich auch keine 50 Euro, himmelnochmal!

Ich kann jetzt das Posting im Mythos-Forum sehr gut nachvollziehen, in dem jemand Flagship einen großen Fehler vorwarf. Weil Mythos nämlich sehr viel spassiger und unterhaltsamer ist. Beide Spiele gleichen sich wie ein Ei dem anderen, was angesichts des Umstandes, dass Mythos als Testumgebung dienen soll, naheliegend ist. Mythos sieht aber UM LÄNGEN besser aus, was nicht nur am Art Design liegt. In Screenshots kommt das leider nicht so rüber, aber die Liebe zum Detail ist bei Mythos, obwohl die Level nur aus vordefnierten Platten zusammengesetzt werden, so sehr spürbar. Da liegt auf Mauervorsprüngen ein dynamisches HDR-Lichtchen, Lichtstrahlen fallen durch das Blätterdach, Gewitterwolken verdunkeln die Sicht. Metallrüstungen und Waffen gefallener Feinde glänzen ebenfalls mit feinen, kleinen HDR-Effekten. HGL hingegen ... es gibt bei Video-Reviews der Gamestar einen geflügelten Begriff, mit dem wenig spektakuläre, respektive nicht allzu prickelnde Graphik höflich umschrieben wird mit: "Es sieht halt so aus, wie es aussieht!" Genau das kann man auch über HGL sagen. Es wirkt einfach trist und fade. Vielleicht wird das in späteren Levels besser, aber es kommt nicht allzu gut, wenn man ein Spiel mit Mülltonnen-Design beginnen lässt. Und ja, ich habe bis auf das Anti-Aliasing alle Details auf Maximum. Sieht immer noch fade aus. Mit mittleren Details wirkt HGL wie ein Spiel aus dem letzten Jahrtausend, um es mal vorsichtig auszudrücken. Hat man bei Flagship keine Graphiker beschäftigt? Haben die Programmierer alle Pixelshader-Effekte und Texturen selber mit Inhalten füllen müssen?

Das Mythos-Interface wirkt auch einfacher und direkter und ich habe das Gefühl das Geschehen und die Spielfigur besser zu kontrollieren. Rückmeldungen aus dem Spiel sind direkter und klarer. Bei Mythos weiß ich, dass ich einen Gegner getroffen habe. Ich SEHE es! Bei HGL kloppe ich auf ein Monster ein, und sehe nur anhand der schrumpfenden HP-Leiste, dass ich wohl getroffen habe. Meine Schlaganimation und die Trefferbox des Gegners scheinen optisch nicht viel miteinander zu tun zu haben. Und da fällt mir immer wieder Rune oder Severance ein. Und wie es nach diesen beiden Spielen KEIN Entwickler mehr fertiggebracht hat Action-Schwertkampf in der Ego- oder ThirdPerson-View vernünftig umzusetzen. Waren da irgendwelche Patente drauf oder wie?

Und so weiter, und so fort ... ich war nach einer Stunde, ehrlich gesagt, sprachlos! Aber nicht, weil mir die Freudentränen in den Augen standen. Nein, mir fielen nur drei Worte ein: What the fuck? Dieses spezielle London ist wirklich von allen guten Geistern verlassen. Kein wirklich schlechtes Spiel, aber meiner Meinung nach ein Spiel, dem mindestens (!) noch ein halbes Jahr Crunchtime und Feinpolitur fehlen. Das Potential ist da, die Ausführung ist jedoch, um es höflich auszudrücken, in höchstem Maße unbefriedigend. Wohlgemerkt, wir reden hier nicht von dem Erstlingsprodukt eines jungen Entwickler-Teams. Die Mannen um Bill Roper sind Genre-Veteranen. Urgesteine, deren Erfahrung und Talent schon eine gewisse Erwartungshaltung rechtfertigt.

Ich wiederhole, vielleicht tue ich Flagship und HGL unrecht. Vielleicht beurteile ich das Spiel aus einer etwas verqueren Perpektive und einem Blickwinkel, den sicherlich nicht jeder einnehmen wird. Vielleicht bietet Hellgate im späteren Spielverlauf, in höheren Leveln die Aha-Momente, die man von einem kommerziellen Spiel, welches auch noch kostenpflichtige Premium-Accounts anbietet, erwarten kann. Vielleicht bretzelt man später als Lvl60-Templar mit seinem Clan durch Wogen von Dämonen und möchte nie mehr etwas anderes spielen. Vielleicht ...

Ich bin mir da aber nicht so sicher. Wenn eine simple, kostenlose, vereinfachte Test-Version der Server-Architektur mir und auch anderen deutlich MEHR Spass macht, als das eigentliche Triple-A-Vollpreis-Spiel, dann ist irgendwo etwas schiefgelaufen.

Und das nicht zu knapp!