Montag, 14. Januar 2008

Retro-Impressionen: Anvil of Dawn

Mitte der 90er galten Rollenspiele am PC als "tot". Die Leute hatten sich scheinbar am traditionellen Schritt-für-Schritt-Quadrat-Dungeon, an der sogenannten "Dungeon Master"-Formel sattgespielt. Bekannte und geschätzte Serien wie Might&Magic oder Wizardry liefen sich tot, weil sie sich nicht von diesem "Dungeon Master"-Schema lösen konnten, inhaltlich und vor allem bezüglich des Interfaces nichts Neues boten.

So würde ich das auch heute noch sagen. Auch wenn ich viel Spass mit diesen Spielen hatte und auch heute noch gerne die DOSBox anwerfe, um für einige Tage die Kanäle unter Waterdeep unsicher zu machen ... der Markt war einfach mit den immergleichen Klonen des immergleichen Spielprinzipes übersättigt. Was zB. auch Interplay mit dem sehr teuren "Stonekeep" zu spüren bekam. Ewig lange in der Entwicklung befindlich, multimedial aufgeblasen, als spiritueller Nachfolger von Bard's Tale behandelt, wollte es zum Release niemand mehr so richtig haben. Selbst so Rollenspiel-Nerds wie ich nicht. Weil ich Mitte der 90er mit anderen Dingen beschäftigt war. Es war die Goldene Zeit der Ego-Shooter!

Und so bin ich auch erst auf einen Titel wie "Anvil of Dawn" gestoßen, als man es als Budget-Titel verramscht hatte und es mir um die paar DM nicht schade war.

Scheinbar konzipiert als Einsteiger-Rollenspiel, wurde auf eine Party und komplizierte Tabellen verzichtet. Das Interface ist kinderleicht zu bedienen und nahezu selbsterklärend. Der Kampf läuft in Echtzeit ab, ohne dass der Spieler sich einen Kopf um komplizierte Strategien machen muss. AoD war sehr gut produziert, hatte eine durchgängige Sprachausgabe (was seinerzeit nicht gerade alltäglich war) und die GCI-Sequenzen, die im Vollbild das Voranschreiten in der Aussenwelt darstellten, liefen auf den frühen Doublespeed-Laufwerken und einfachen VGA-Karten flüssig und eindrucksvoll ab.




Ausgehend vom relativ einfachen Gameplay und der sauberen Präsentation würde ich "Anvil of Dawn" heute in die Riege von Diablo oder Titan Quest einsortieren. Schneller, unkomplizierter Rollenspielspass.

Doch da nichts perfekt ist, so gibt es auch an AoD so einige Dinge, die ich, dezent ausgedrückt, nicht für so sonderlich gelungen halte. Vor allem das Balancing ist ziemlich daneben geraten. Fragt man sich in den ersten zwei, drei Abschnitten, wofür man überhaupt all diese Hektoliter Heiltrank-Gebräu mit sich herumschleift, so besteht das Gameplay spätestens ab der "Unterirdischen Stadt" aus zwei Phasen. In der ersten, sehr kurzen Phase läuft man drei Schritte, stößt auf ein Monster, bekämpft es und besiegt es nach Möglichkeit. Dann beginnt die zweite Phase, in der man das DOSBox-Fenster in den Hintergrund klickt, andere Dinge am Rechner tätigt oder diverse Arbeiten im Haushalt erledigt. Da man sehr schnell alle Heiltränke und Mana-Auffrischer aufgebraucht hat, wartet man so ca. eine halbe Stunde ab, bis sich die Spielfigur allmählich selber geheilt hat. Dann zieht man paar Ecken weiter, bekämpft erneut ein, zwei Monster und stellt sich wieder minutenlang in die Ecke, weil diese Gegner HP fressen wie Motten altes Müsli in der Küche. Das ist schlichtweg ... SCHEISSE!! Später wird das Gameplay zwar wieder etwas flüssiger, einen Großteil der reinen Programmlaufzeit verbringt man dennoch mit Warten auf''s Christkind, bzw. das Anwachsen des HP- und Manabalkens, weil es zu wenig Heiltränke gibt.




Eine ebenfalls selten dämliche Gameplay-Idee ist der Umstand, dass Heiltränke, Heilzauber und Manatränke keinen festen "Auffrischungs"-Wert haben, sondern aus einem definierten Wertebereich (zB. ein Heiltrank mit 5xD10) ein zufällig erzeugter HP-Zuwachs ausgewürfelt wird. Ein Heiltrank kann also nur 5 oder aber auch 50 HP regenerieren. Was somit das Anwenden von Tränken und Zaubern zu einer ermüdenden Save/Load-Orgie mutieren lässt. Spielstand speichern, Heiltrank anwenden, bei zu geringem Ergebnis Spielstand laden, Heiltrank anwenden ... *schnarch*




Das unausgewogene Balancing in Verbindung mit den zufällig ausgewürfelten Ergebnissen für Heiltränke und andere Support-Items versetzen diesem Spiel fast den Todesstoß. Aber 1995 hätte ich wahrscheinlich noch die Geduld, die Ausdauer und den Langmut gehabt, um über all diese Fehler hinwegzusehen.

Denn, es macht schon Spass. Auch heute noch. So ist es nicht ...