Sonntag, 19. Oktober 2008

Von Legenden und Menschen

Dieser Text ist auch bei Polyneux erschienen ...

Los, gebt es ruhig zu. Auch ihr habt fast zwei Jahre lang jedes Quentchen an Information über Spore aufgesaugt und manisch verfolgt. Auch ihr habt Euch nur beim Gedanken daran, dass Will Wright aller Wahrscheinlichkeit ein neues Meisterwerk des Gamedesigns schaffen wird, fast ins Höschen gemacht. Weil, hey, Will Wright! Come on! Kann doch nix schiefgehen! Will Wright!! YESS!

Doch als vor einigen Wochen statt "Spore", der angekündigten Apotheose von Wills unbändiger Kreativität, "Bore", der Triumph der massenkompatiblen Belanglosigkeit und des schnöden Umsatzmaximierens, in den Läden erschien, sollte wohl jedem klar geworden sein, dass Will Wright, die letzte der großen Gamedesigner-Legenden, dass selbst Will Wright auch nur ein Mensch ist, der zwar zehn, fünfzehn Jahre lang zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Dinge getan hat, dessen Zeit nun aber abgelaufen ist.

Will Wright war so etwas wie der letzte Mohikaner, der letzte einer Riege von westlichen Gamedesignern, die in den 90ern maßgeblich daran beteiligt waren, das Medium Computerspiele zu dem zu machen, was es heute ist. Jeder hatte Stein und Bein geschworen, dass Will Wright die Inkarnation des Spielegottes auf Erden sein muss. Und lässt man heute Namen wie Richard Garriot, Warren Spector, Sid Meier, John Romero, Andy Hollis, Peter Molyneux, Tom Hall oder David Braben fallen, verfallen vor allem alte Säcke in narkoleptische Schockstarre, während Bilder, Erinnerungen und Emotionen ihr Gehirn durchfluten und für Minuten sogar so lebenswichtige Reflexe wie Atmung oder Herzschlag drohen in dieser Nervenimpulslawine unterzugehen. Einst, da musste man einfach nur "Das neue Spiel von XYZ" auf die Verpackung schreiben und jeder wusste sofort, was ihn erwarten wird. Erstklassige Unterhaltung! Nicht zögern, sofort zugreifen und sich für die nächste Woche zu Hause einschliessen. Da konnte nichts schiefgehen. Blindkäufe waren die Norm, nicht die Ausnahme! Demos? Wer zur Hölle braucht Demos? Kopien? Wer zur Hölle kopiert sowas, wenn man es doch kaufen kann?

Doch auch in Japan herrscht Götterdämmerung. Ein Hironobu Sakaguchi zeigt mit "Blue Dragon", dass es nicht ausreicht, einfach nur alte Ideen zum x-ten Male in neue Graphikroutinen zu verpacken. Selbst der Score von Nobuo Uematsu dümpelt in der gepflegten Langeweile altbekannter Tonfolgen dahin. Andere Designer-Legenden prügeln sich mit ihren ehem. Arbeitgebern oder sind in der Versenkung verschwunden. Einzig ein Hideo Kojima scheint noch in der Lage zu sein, über die Jahre hinweg ein entsprechendes Niveau halten zu können. Selbst Shigeru Miyamoto zehrt nur noch vom Ruhm der Vergangenheit. Wii Fit oder Wii Music anyone? Ebend ...

Einer, der sich vergleichsweise schlau aus der Affäre gezogen hat, ist Sid Meier, der schon seit einer Weile nur noch seinen Namen und ein paar nette Ratschläge beisteuert, die eigentliche Arbeit (und prominente Platzierung in den Credits) aber anderen Leuten in der Blüte ihrer Jahre überlässt.

Alle, ohne Ausnahme, alle sind sie jedoch im Laufe der Jahre von ihrem Thron wieder in den Staub zurückgefallen, aus dem wir Normalsterblichen sie einst erhoben hatten. Gamedesigner sind nicht die Halbgötter, zu denen wir sie im Laufe der Jahre hochstilisiert haben. Gamedesigner sind nichts weiter als ganz gewöhnliche Menschen, die einfach nur das Glück hatten, ihr Talent über einige Jahre hinweg voll und ganz ausleben zu können.

Deswegen möchte ich diesen Leuten keinen Vorwurf machen. Denn wir selbst haben aus ihnen mehr gemacht, als sie waren. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn manche von ihnen diese Legendenbildung in den falschen Hals bekommen und das alles für bare Münze genommen haben. Wäre man bei Flagship ohne diese maßlose Hybris, etwas besonderes, besseres zu sein, nicht auf die Schnauze geflogen? Oder war schon der Versuch von Roper und Kollegen, den damaligen Chef der Viviendi-Spielesparte mit ihrer Kündigung zu erpressen, Zeichen der Überschätzung? Wäre ein Ion Storm und somit so Perlen wie Anachronox oder Deus Ex entstanden, wenn ein John Romero nicht eines Tages beschlossen hätte, der coolste Langhaarträger der Spielegeschichte zu werden? Wahrscheinlich nicht ...

Werden wir in Zukunft daher neue Legenden entstehen sehen? Gut möglich, denn der Bedarf nach Helden wird wieder größer. Zwar verhindern die derzeitigen Strukturen in der Industrie erfolgreich jeden Versuch, sich als Individuum einen Namen zu machen (die gute Jade Raymond dient einem Ubisoft-Konzern im Grunde auch nur als Marketing-Gag), doch auch diese Phase ist eben nur eine Phase. Activision wurde zB. von ehem. Atari-Programmierern gegründet, die einfach nur ihren Namen in den Credits und Anerkennung für ihre Arbeit sehen wollten. Viele Studios Ende der 90er wurden von einstigen Großkonzernangestellten gegründet, die endlich IHR DING tun wollten. Wie zB. Firaxis oder Lionhead, wo ein zutiefst frustrierter Peter Molyneux versuchte die glorreichen Pre-EA-Bullfrog-Zeiten wiederzubeleben, nur um sich ein paar Jahre und Flops später doch wieder als Konzerndrohne, diesmal im Auftrag von MS, zu blamieren.

Und so werden wir in ein paar Jahren bestimmt wieder eine ähnliche Gegenbewegung erleben. Namenslose Teammitglieder, endgültig desillusioniert und angeekelt von der Art und Weise, wie in großen Firmen gearbeitet wird, werden dem vergleichsweise sicheren Geld Adieu sagen und auf eigene Faust versuchen ihr Glück zu machen. Andere, aus der Indie-Ecke kommend, werden wohlweislich erst gar nicht dem Ruf der Major Publisher folgen. Schau mer mal, welche Namen wir dann auf die Sockel diverser Büsten und Statuen auf dem Olymp meiseln werden, bis auch diese dem Schicksal Ozymandias folgen ...


© Michael Fairchild

Ich traf einen Wanderer aus einem alten Land,
der sprach: "Zwei mächt'ge Beine aus Stein,

ohne Rumpf, stehn in der Wüste.

Nahebei, halb verweht, zerschlagen, ruht das Gesicht im Sand,

Gestreng gekräuselt die Lippen, verachtungsvoll und kalt befehlend,

Kündend, wie wohl der Künstler die Leidenschaften las,

die, eingeprägt in leblosen Stein, noch überdauern -

die Hände, die sie nachbildeten und das Herz, das sie nährte.

Und auf dem Sockel zeigen sich diese Worte:

"Mein Name ist Ozymandias, König der Könige!

Erblickt meine Werke, Ihr Mächtigen, und verzweifelt!"

Nichts daneben ist geblieben. Rund um die Trümmer

der kolossalen Ruine, endlos und öd,

einsam und eben, erstrecken sich nur Sande weithin.


"Ozymandias" (1817), von Percy Bysshe Shelley